Christian Alvart wurde 1974 im hessischen Seeheim-Jugenheim geboren. Während der Kindheit und Jugend filmte er auf Super-8 und Video und tat sich mit einem Kreis filmbegeisterter Geeks zusammen. Gemeinsam gründeten sie das Filmmagazin X-TRO, dessen Chefredakteur er mit 19 Jahren wurde. Er besuchte nie eine Filmhochschule – dennoch gelang dem Autodidakt der Sprung zur Regie. Er brachte sich das Handwerk als Assistent in verschiedenen Funktionen bei, gründete 1997 seine Produktionsfirma Syrreal Entertainment mit Sitz in Berlin und gab sein Spielfilm-Debüt 1999 mit Curiosity and the Cat, der für den Max-Ophüls-Preis nominiert wurde.
Nach seinem zweiten Spielfilm Antikörper (2005), einem Psychoduell zwischen einem einsitzenden Serienkiller (André Hennicke) und einem Dorfpolizisten (Wotan Wilke Möhring), wechselte er nach Hollywood, wo er im großen Stile seine Vorliebe für Genrefilme beweisen konnte: Er inszenierte 2007 für Paramount den Horror-Krimi Fall 39 mit Renée Zellweger und Bradley Cooper sowie 2008 den Science-Fiction-Krimi Pandorum mit Dennis Quaid und Ben Foster.
Zurück in Deutschland arbeitete Christian Alvart als Tatort-Regisseur an zwei hochgelobten „Borowski“-Einsätzen – „Borowski und der coole Hund“ u.a. mit Mavie Hörbiger, „Borowski und der stille Gast“ u.a. mit Lars Eidinger und wurde 2012 als Regisseur für die Tatorte mit Til Schweiger. Der Krimi Banklady kam 2013 ins Kino: Nadeshda Brennicke, die in mehreren seiner Filme agiert, verkörpert darin Gisela Werler, die in den 60er-Jahren durch dreiste Banküberfälle in Deutschland bekannt wurde. 2015 folgte die Kumpel-Komödie Halbe Brüder mit Sido und 2016 der Kino-Tatort Tschiller | Off Duty.
Vor kurzem demonstrierte er seine Liebe zum Genrekino mit der Produktion des SciFi-Thrillers S.U.M. 1 mit Iwan Rheon und André M. Hennicke und drehte gerade erst den Horrorthriller Abgeschnitten nach dem Roman von Sebastian Fitzek mit Lars Eidinger, Moritz Bleibtreu, Fahri Yardim und Jasna Fritzi Bauer, der im Oktober in die Kinos kommt. Aktuell ist er Serienleiter der düsteren Netflix-Serie Dogs of Berlin, in der zwei Polizisten in den Abgründen der komplexen Berliner Unterwelt ermitteln.
Im Anschluss daran dreht er mit Franco Nero eine Fortsetzung von Sergio Corbuccis Klassiker Django mit dem Titel Django lives!, der 1915 spielt und einen gealterten Django zeigt, der als Berater für eine Filmproduktion den Wilden Westen erklären soll. Außerdem arbeitet er u.a. an einer Realverfilmung von „Captain Future“, dessen weltweite Rechte er mit seiner Produktionsfirma erworben hat. Das Projekt soll mehrere Filme umfassen, und im ersten soll es darum gehen, wie Curtis Newton auf der isolierten Mondbasis zum Titelhelden wird. Das Drehbuch ist bereits seit 2012 fertig, doch der eigene Anspruch (und der der Fans) ließ ihn das Projekt immer weiter nach hinten verschieben. Im Internet ist auch ein Konzepttrailer zu finden, der einiges erwarten lässt.
Christian Alvart hat drei Söhne und eine Tochter und lebt in Berlin. Jetzt ist er im Gespräch über sein derzeitiges Werk Steig. Nicht. Aus! über einen Bauunternehmer, der sich nicht nur in einer persönlichen Krise befindet, sondern auch noch Zielobjekt eines rachsüchtigen Opfers seiner Baufirma wird…
Herr Alvart, was hat Sie zu dieser deutschen Neuauflage bewogen?
Ich habe schon viele Remakes angeboten bekommen, sie aber immer abgelehnt, weil mir die Originale nicht gefielen. Oder ich hatte nicht das Gefühl, etwas Neues dazu beitragen zu können. Das war bei diesem Film ganz anders. Ich fand, dass er vom Konzept, der Idee und dem Drehbuch für Spanien ganz großartig funktioniert hat, aber für ein deutsches Publikum eine emotionale Komponente fehlte. Der Aufhänger des Originals ist die Bankenkrise und die hat uns (von einzelnen Betroffenen natürlich abgesehen) letztlich nicht so ins Mark erschüttert wie eben die Spanier. Ich fand es also schade, dass die zweite, inhaltliche Ebene für Deutschland fehlte…
…und haben aus dem Banker einen Bauunternehmer gemacht, der um sein Leben fährt.
Genau, ich habe nach einem Aufhänger für die Story gesucht, der uns mehr betrifft, und bin bei der Frage gelandet, wie man in einer globalisierten Welt mit persönlicher Verantwortung umgeht. Dadurch, dass wir immer mehr Dienstleistungen in Anspruch nehmen können, geben wir Verantwortung ab. Kurz: Wir haben reine Hände, weil andere sie sich für uns schmutzig machen – in unserem Fall in der Immobilienbranche. Und Stadtplanung ist in Deutschland ein sehr emotionales Thema, das die meisten Menschen betrifft. Egal ob in München, Hamburg, Köln oder eben wie im Film Berlin, haben die Menschen das Gefühl, ihre Stadt wird von Investoren ausverkauft.
Sie leben selbst in Berlin. Empfinden Sie das genauso?
Ich finde, es ist ein sehr komplexes Problem, das von beiden Seiten oft unzureichend schwarzweiß gesehen wird. Ich versuche, verschiedene Antworten zu finden. Einerseits verschwinden tatsächlich immer mehr liebgewonnene Orte, es gibt immer weniger öffentliche Plätze, Investoren können machen, was sie wollen, man wird als Bürger nicht gehört.
Manchmal fahre ich durch Ecken in Berlin, wo früher das Leben tobte und jetzt tote Hose herrscht, weil da nur noch Spekulationsobjekte stehen, in denen keiner mehr wohnt – eine extrem unmenschliche Entwicklung. In Berlin habe ich gedreht, weil ich mich dort am besten auskenne und weiß, wo diese Kampflinien verlaufen. Aber der Film hätte auch in jeder anderen Großstadt spielen können.
Die andere Seite ist, dass bei Versuchen, solche Auswirkungen zu regulieren, teilweise schwachsinnige Gesetze herauskommen. Da hat man etwa alle Ersparnisse in eine Eigentumswohnung gesteckt und wird plötzlich mit Regularien konfrontiert, die einem das Leben schwermachen. Ich finde aber auch, wie es im Film nebenher heißt, dass es Protestlern sehr oft um reine Nostalgie und Besitzstandwahrung geht. Man möchte also eigentlich, dass sich gar nichts mehr verändert, aber das darf auch nicht sein.
Telefonieren war selten aufregender als in Steig. Nicht. Aus!. Brendt versucht fieberhaft, am Handy während der Fahrt das Lösegeld aufzutreiben, ohne zu verraten, dass er erpresst wird. Wie gut sind diese Transaktionen recherchiert?
Da bin ich äußerst exakt vorgegangen. Seine Versuche, durch eine virtuelle Gesellschafterversammlung mit seinen Unternehmerkollegen an Geld zu kommen, könnten, je nach Gesellschafterstruktur, genauso stattfinden.
Fürchten Sie nicht, dass die Zuschauer bei dem wilden Hin und Her den Überblick verlieren könnten?
Nein, bei dem Thema kennen sich ohnehin nur wenige aus. Alle anderen werden emotional mitgerissen und bleiben dran. Beim Drehbuchschreiben musste ich viel Überzeugungsarbeit leisten, dass das alles nicht überkompliziert und langweilig ist. Dann stellte sich eher das Gegenteil als problematisch heraus: Sämtliche Versuche, alles zu sehr zu vereinfachen, hätten dazu geführt, dass unsere Hauptfigur nicht genug ins Schwitzen käme. Aber es war sehr wichtig, dass Brendt pausenlos unter Strom steht und genug Leute überzeugen muss. Wobei mir gut gefällt, dass er sich letztlich gegen die Leute wendet, mit denen er zusammenarbeitet, und der Racheplan des Unbekannten so auf die ganze Firma ausgeweitet wird.
Am Gendarmenmarkt wird Brendt von der Polizei gestoppt, die ihn für den Entführer seiner eigenen Kinder hält. Es kommt zu einer nervenzerreißenden Blockade, einer der Höhepunkte des Films. Ist es eigentlich schwierig, für so einen Ort eine Drehgenehmigung zu erhalten?
Es wird immer schwieriger, in Berlin überhaupt noch Genehmigungen zu bekommen – wahrscheinlich, weil es einfach so viele Dreharbeiten gibt. Der Gendarmenmarkt war tatsächlich mein Wunschdrehort, der stand schon so im Drehbuch. Allerdings wäre ich auch mit einem vergleichbaren ikonischen Drehort zufrieden gewesen. Ich habe nie geglaubt, dass wir dort tatsächlich drehen dürfen – natürlich mit allen möglichen Einschränkungen, aber immerhin! Ich glaube, es waren sechs Drehtage.
Hatten Sie beim Schreiben des Drehbuchs schon Wotan Wilke Möhring im Hinterkopf?
Nein, dafür ging alles viel zu schnell. Uns stand für Steig. Nicht. Aus! nur ein ganz kleines Zeitfenster zur Verfügung – nach dem Dreh meines Thrillers Abgeschnitten und vor meiner Netflix-Serie Dogs of Berlin. Ansonsten hätte das Projekt sehr lange auf Eis gelegt werden müssen. Ich habe also parallel geschrieben und vorbereitet und dann stand plötzlich die Frage im Raum, wer hat jetzt überhaupt Zeit? Wir kamen schnell auf Wotan, aber wie jeder weiß, ist er unglaublich beschäftigt. Dass er die Rolle übernehmen konnte, war ein Riesenglück.
Steig. Nicht. Aus! ist bereits Ihr zweiter Film mit ihm in der Hauptrolle…
Ja, deshalb habe ich mich ja auch so wahnsinnig darauf gefreut. Antikörper hat uns beide sehr geprägt. Wir befanden uns damals an vergleichbaren Punkten unserer Karriere. Es war mein erster großer Film und seine erste Kinohauptrolle. Wir sind uns danach zwar immer verbunden geblieben, aber nach der langen Zeit habe ich trotzdem gehofft, dass es noch so wie damals ist. Meine Sorgen waren völlig unbegründet, es war wirklich, wie einen alten Hausschuh anzuziehen. Es hat irre viel Spaß gemacht. Wir haben uns blind verstanden.
Er steht im Film immer unter Hochdruck. Überträgt sich der Stress auf die Drehpausen?
Nein, Wotan ist niemand, der in seiner Rolle abtaucht und dann da nicht wieder rauskommt und das Team dadurch belastet. Im Gegenteil, er guckt total aufmerksam in den Drehpausen, wie es den Leuten um sich herum geht. Er fühlt sich verantwortlich für die Stimmung, die Laune und Atmosphäre am Set. Dann geht es zum nächsten Take und er taucht wieder in seinen Part ein. Ganz erstaunlich, wie er das macht.
Die zweite Hauptrolle ist Sprengstoffexpertin Pia Zach, die am Gendarmenmarkt die Verhandlungen führt. Wie sind Sie auf Hannah Herzsprung gekommen?
Es war ein Vorschlag von meinem Produktionspartner Sigi Kamml, der sie schon kannte. Ich bin wohl der letzte in der deutschen Filmbranche, der gemerkt hat, was für eine tolle Schauspielerin Hannah Herzsprung ist. Als sie ihren Durchbruch hatte, war ich in den USA und hatte dadurch viele ihrer Filme nicht gesehen. Aber durch Steig. Nicht. Aus! bin ich so ein großer Fan von ihr geworden, dass ich für Dogs of Berlin extra eine Rolle für sie erfunden habe, um sofort mit ihr weiterdrehen zu können.
Eine entscheidende Rolle hat auch Emily Kusche als Brendts pubertierende Tochter Josefine, die mit ihrem kleinen Bruder im Wagen sitzt…
Ja, und durch sie erhält der Film einen emotionalen Kern, der unbezahlbar ist. Es gab immensen Druck, aus arbeitsrechtlichen Gründen doch bitte jemanden für die Rolle zu finden, der volljährig oder zumindest über 16 ist. Ich finde aber, das ist so ein diffiziler Lebensabschnitt, dass ich unbedingt jemanden wollte, der genauso alt ist wie die Filmfigur. Josefine rebelliert, kapselt sich ab, macht ihrem Vater ständig Vorwürfe und kritisiert ihn. Doch das spielt plötzlich keine Rolle mehr, als die Scharfschützen auf ihn anlegen. Emilys Performance ist so glaubwürdig und herzergreifend, dass ich es mir mit ihrer Besetzung nur im praktischen Sinne schwerer gemacht habe, weil es am Ende genau die richtige Entscheidung war.
Abschließend noch mal zu Ihnen: Sie sind einer der renommiertesten Action- und Genreregisseure Deutschlands. Stimmt es, dass Sie als Kind keine Filme sehen durften?
Nur sehr selten jedenfalls, wenn überhaupt. Habe es dafür aber umso mehr geliebt und wochenlang über das Gesehene nachgedacht. Wenn ich beispielsweise mal einen Terrence Hill-Film sehen durfte, habe ich ihn auf Audiocassette mitgeschnitten und mir das Band die nächsten Wochen und Monate angehört. Ich habe mich sehr gut ausgekannt. Wer dreht welche Filme, wer ist welcher Schauspieler, welche Drehbuchautoren gibt es? Ich habe viel gelesen über Filme, die gerade im Kino laufen, die Bücher zum Film gelesen, um zu wissen, worum es geht, um dann auf dem Spielplatz und in der Schule so eine Art Hochstaplerleben zu führen, weil ich immer mitreden konnte und keiner gemerkt hat, dass ich die Filme gar nicht gesehen hatte.
Wie ist dann Ihre Faszination fürs Kino entstanden?
Ich glaube, wenn ich jede Woche ins Kino gedurft und einen Film nach dem anderen gesehen hätte, hätte ich vielleicht sogar ein weniger intensives Verhältnis zu den einzelnen Filmen und zum Kino entwickelt. Ich war mit 12 zum ersten Mal im Kino – Zurück in die Zukunft, der hat mich auf Jahre geprägt. Irgendwann lebte ich dann bei meiner Mutter und habe alles nachgeholt, war gar nicht mehr aus dem Kino zu kriegen.
Warum begeistern Sie sich so für das Genrekino?
Mein persönlicher Filmgeschmack ist wesentlich breiter als man denken würde. Aber ich hatte immer eine besondere Beziehung zum Genrefilm und verstehe mich bei uns ein bisschen als Anwalt für diese Kunstform. Ich stehe total auf Spannung, und im Genrekino wird der Inhalt sehr stark über die Spannung transportiert. Mein Lieblingszustand im Kino ist, wenn es mich vor Aufregung an die Sitzkante treibt. Das ist mir hoffentlich mit Steig. Nicht. Aus! gelungen.