Wie können wir uns eure Zusammenarbeit als Zwillingsbrüder vorstellen?
Frederik Braun: Gerrit ist eher realistisch, ich bin eher optimistisch – das ist die perfekte Symbiose. Ich habe von Technik keine Ahnung, er ist ein Technik-Genie. Er konnte schon mit zwölf Jahren den Computer programmieren, während ich mich nicht damit beschäftigen musste. Er hat alles Technische für mich mitgemacht und so lief es anfangs auch bei diesem Projekt.
Als ich ihn aus Zürich anrief und vorschlug, »die größte Modelleisenbahn der Welt zu bauen«, fragte er mich zuerst, ob ich einen Sonnenstich hätte. Beim nächsten Anruf merkte ich, dass es bei ihm gezündet hat, aber er zählte gleich die Probleme auf, an denen es scheitern könnte. Mit meinem Bruder habe ich ein eigenes Controlling neben mir sitzen. Unsere Symbiose besteht darin, dass die Sache läuft, wenn er als kritisch und analytisch denkender Mensch und ich als Ideengeber auf ein gemeinsames Level kommen. So war es auch beim „Miniatur Wunderland“.
Was hat Sie an diesem Ort fasziniert?
Frederik Braun: Die Speicherstadt war damals Freihafengebiet. Es gab Zugänge, die 24 Stunden passierbar waren, aber einige Besucher haben gefragt, ob sie ihren Schmuck vorher beim Zoll anmelden müssen. Diese Schönheit hier befand sich noch im Dornröschenschlaf. Ein Freund unseres Vaters gab uns den Tipp, bei der HHLA anzufragen, da feststand, dass die Speicherstadt ab 2002 kein Zollgebiet mehr ist. Wir waren sofort in diesen Ort verliebt und hatten das Glück, als Starthilfe einen günstigen Mietzins zu bekommen.
Was ist das Geheimnis des Erfolges vom Wunderland?
Frederik Braun: Das Wunderland ist keine reine Modelleisenbahn, sondern eine Welt im kleinen Maßstab, in der auch viele Modelleisenbahnen fahren. Hier findet sich ein 10-jähriges Mädchen genauso wieder wie ein 70-jähriger Großvater, denn jeder entdeckt etwas, das ihn interessiert.
Ich schaue mir jeden Tag die abgegebenen Besucherbewertungen an unserem Terminal an. 97 Prozent der Besucher wollen uns weiterempfehlen und 85 bis 90 Prozent wiederkommen, wenn der nächste Bauabschnitt fertig ist. Die Mundpropaganda ist auch im Social-Media-Zeitalter immer noch das Wertvollste, denn Emotionen und Begeisterung werden am besten in persönlichen Begegnungen vermittelt. Die Hälfte unserer Besucher kommen auf Empfehlung von Freunden oder Familie
Wie ist das Wunderland auf die Kinoleinwand gekommen?
Frederik Braun: Der Auslöser war, dass der Hoffmann & Campe Verlag uns vorgeschlagen hat, eine Biografie über unser Leben zu schreiben. Wir hatten keine unbeschwerte Kindheit. Unsere Eltern waren geschieden und unsere Mutter hat uns viel allein gelassen. Wir hatten vor allem uns selbst und haben uns die Welt viel heiler ausgemalt als sie wirklich war. Mein Bruder und ich haben uns entschieden, unsere Geschichte selbst so zu schreiben, wie wir sie sehen.
Dem Verlag war unser Manuskript zu ehrlich, aber unser Buch stand acht Wochen auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste. Der Produzent Benjamin Seikel war sehr davon berührt. Er schlug uns vor, eine Kinodokumentation über unser Leben zu drehen, die keine weitere Reportage werden soll, sondern ein emotionaler bewegender Film mit menschlichen Geschichten, die ans Herz gehen. Viele der Geschichten im Film über uns und unsere Kindheit stammen aus diesem Buch.
Ein weiteres wichtiges Kapitel im Film ist unser Projekt mit den Argentiniern, mit denen ich trotz aller Widerstände unbedingt zusammenarbeiten wollte. Sie sind Teil unserer Familie geworden, und diese Emotionalität unserer Geschichte ist wirklich im Film zu spüren.
Das Wunderland steckt bis ins kleinste Detail voller kreativer Ideen. Wie managen Sie das mit über 400 Mitarbeitern?
Frederik Braun: Am Anfang mussten wir unserem Team vermitteln, was wir wollten. Unser Projektleiter Gerhard Dauscher ist davon überzeugt, dass im Grunde in jedem Menschen ein Modellbauer steckt. Die individuelle Kreativität muss nur geweckt werden. Er lässt dem Team viel Freiheit, aber größere Vorhaben wie ein Formel-1-Rennen oder ein Fußballplatz mit Spielen müssen genau geplant sein.
Erwächst daraus diese Vielfalt im Wunderland?
Frederik Braun: Insgesamt sind rund 60 unserer Mitarbeiter mit dem Bauen von Figuren und Modellen betraut, die ihre Erlebnisse, Träume und Geschichten in diese Modelllandschaft einfließen lassen. Dabei geben wir ihnen viel Freiheit, denn es lässt sich nicht alles planen. Wäre das der Fall, würde das Wunderland ganz anders aussehen.
War die Interaktivität per Knopfdruck von Anfang an eine Komponente auf dieser Weltreise durch das Miniaturland?
Gerrit Braun: Absolut. Noch vor dem Start unseres Projektes haben wir uns mehrere Modelleisenbahnen in Deutschland angeschaut. Sie hatten auch ein städtisches Umfeld und Landschaften, aber dort waren nur die Eisenbahnen in Bewegung und es gab wenig Beleuchtung. In dieser Modellwelt ist nichts passiert. Uns war bewusst, dass wir Interaktivität benötigen, damit die Miniaturwelt echt wirkt. Es muss einiges nach dem Zufallsprinzip passieren, um für eine Überraschung zu sorgen. Bereits zur Eröffnung gab es schon 50 Druckknöpfe. Wir realisieren in jedem Bauabschnitt interaktive Elemente.
Welche unterschiedlichen Systeme mussten für die Steuerung von Autos, Flugzeugen und Schiffen sowie für Licht-, Ton- und Wassereffekte entwickelt werden?
Gerrit Braun: Im ersten Jahr hatten wir Amerikaner im Wunderland zu Besuch, auf die unser Leitstand mit seinen vielen Monitoren wie das Raumfahrtzentrum der NASA wirkte. Für jeden Bereich übernehmen mehrere Rechner die Steuerung der Abläufe. Die Züge, der Flughafen, die Autos und die Beleuchtung werden digital per verschiedener Softwareprogramme gesteuert. Die interaktiv bedienbaren Druckknöpfe sind meistens analog, da sie mit eigenen Abläufen per Elektromotor oder Magnetantrieb funktionieren.
Wie werden die Modelle konstruiert, damit die Abläufe das ganze Jahr über 24/7 reibungslos funktionieren?
Frederik Braun: Am Anfang mussten wir Lehrgeld zahlen, weil wir viel mit Hobbymodellbau gearbeitet haben. Inzwischen setzen wir auf industrielle Fertigungsweisen, die für uns aber zu groß sind. Wir brauchen dann eine Idee, wie wir verschleißfrei im Kleinen arbeiten können. Wir haben einige Genies im Technikbereich, die wie Daniel Düsentrieb ständig etwas erfinden, improvisieren und ohne Ende basteln.
Die Prämisse ist, dass es den Dauerbetrieb aushalten muss. Rund 80 Prozent der richtig guten Ideen können nicht verwirklicht werden, weil wir das mit nachhaltig funktionierender Technik nicht so klein umsetzen können. Aber die Technik wird kleiner, schneller und besser. Eine alte Idee wird wieder aus der Schublade geholt, wenn es einen Motor dafür gibt.
Was hat das für die Zusammenarbeit mit den Modellbauern aus Südamerika bedeutet?
Frederik Braun: Die Martinez-Familie sind wundervolle Menschen und Modellbauer, die auch technisch genial sind, aber sie musste noch nie etwas bauen, das 365 Tage im Jahr reibungslos läuft. Dafür mussten auch sie Lehrgeld zahlen. Sie haben unser Team immer wieder überrascht, wie sie Dinge gelöst haben. Es war bewundernswert, mit welcher Begeisterung sie an unsere Vorstellungen herangegangen sind.
Was wird direkt im Wunderland gebaut, was ist bereits vorgefertigt?
Frederik Braun: Für die ersten Bauabschnitte haben wir z.B. alle Häuser als Bausätze gekauft. Dann sind wir dazu übergegangen, die Teile zunehmend selbst zu bauen, weil das viel schöner aussieht. Mittlerweile sind alle Häuser Eigenproduktionen, alle Straßen und Landschaften sind selbst geschaffen. Inzwischen bauen wir auch die Laternen, Signale, Ampeln, Autos und teils sogar Lokomotiven, weil die gekauften Modelle viele Anforderungen nicht erfüllen können. In Rio de Janeiro ist fast jeder Baum selbst hergestellt, denn Bäume aus tropischen Ländern gibt es nicht zu kaufen. Die Südamerikaner sind dafür Experten und arbeiten gerade am Regenwald.
Wachsen mit den neuen Welten im Wunderland auch die technischen Anforderungen?
Frederik Braun: Absolut. Gerrit arbeitet schon seit längerem an einem neuen Car-System, bei dem die Modelle an der Ampel vor einer Kreuzung nicht mehr per Kontakt unter der Anlage bewegt oder gestoppt werden, sondern das funktioniert über Infrarot. Jedes Mal, wenn wir in den neuen Bauabschnitten Lösungen mit neuer Technologie einsetzen, würden wir am liebsten auch die alten Bauabschnitte überholen. Das lässt uns dann keine Ruhe mehr.
Welche Modellwelt ist technisch am komplexesten?
Gerrit Braun: Ganz klar der Flughafen. Dafür mussten diverse Erfindungen gemacht werden, und noch heute ist es für mich ein Wunderland, dass dieses Meisterwerkt der Technik so konstant läuft.
Welche Möglichkeiten eröffnen die Virtual-Reality-Anwendungen im Wunderland?
Frederik Braun: Mit der Einführung von VR hat das Wunderland eine moderne Komponente erhalten, um die alte mit der neuen Welt zu verbinden. Der Reiz liegt darin, noch tiefer abzutauchen, um bestimmte Bereiche aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und praktisch durch diese Welt hindurchzugehen. Irgendwann wird dann das gesamte Wunderland vielleicht auch als Meta-World bestehen, die sich rein virtuell besuchen und durchstreifen lässt.