Montag, 29. April 2024
Hanna und Liv im Outback
© Universal Pictures | Screen Australia
Als den kanadischen Rucksacktouristinnen Hanna und Liv das Geld ausgeht, übernehmen sie notgedrungen eine Stelle in einer Bar im entlegenen australischen Outback an. Schon bald finden sie sich in einer nervenaufreibenden Situation wieder, die immer mehr außer Kontrolle zu geraten droht.
Der Name des Pubs klang für die beiden Freundinnen vielversprechend nach einer abenteuerlichen Backpackerreise voller Sonnenschein und kistenweise Alkohol. Doch die Realität im heruntergekommenen Bergbaukaff ist ein harter Schlag: schmutzig, schonungslos und rau. Trotzdem beschließen Hanna und Liv, ein paar Wochen durchzuhalten, um sich ein rauschendes Urlaubsfinale am Bondi Beach zu finanzieren.
Für den schroffen Barbesitzer Billy sind sie billige Arbeitskräfte, für seine Stammgäste eine neue, knackige Abwechslung. Der Spaß der ungezügelten Down-Under-Trinkkultur endet schnell, als die immer derberen Anmachen und vulgären Spielchen zur Bedrohung eskalieren.
Gekränkt durch die Zurückweisung demonstriert der verschrobene Dolly seine Macht in einem psychotischen Spiel, das Hanna und Liv vor die Wahl stellt: Entweder behaupten sie sich in dieser unbarmherzigen Welt oder sie gehen darin unter.

»Will there be kangaroos?«

Liv

Nach dem internationalen Erfolg ihres Spielfilmdebüts The Assistant und ihrer preisgekrönten Dokumentarfilme kehrt Filmemacherin Kitty Green in ihr Heimatland Australien zurück, um im „Royal Hotel“ einzuchecken. Inspiriert von wahren Begebenheiten schrieb sie gemeinsam mit Oscar Redding das Drehbuch für diesen Krimi, den sie als scharfsinnige Betrachtung toxischer Dynamiken inszeniert.
Der Film ist von dem Dokumentarfilm Hotel Coolgardie inspiriert, den Kitty als Jurymitglied bei einem australischen Filmfestival 2017 zum ersten Mal sah. Kitty war von der Geschichte zweier junger skandinavischer Frauen gefesselt, die in einer australischen Bergbaustadt gefangen sind. Sie hatte schon viele Filme gesehen, die in australischen Pubs spielen, viele davon in abgelegenen Gemeinden, aber noch nie einen aus dieser Perspektive, aus der weiblichen Sicht.
Kittys Großvater väterlicherseits besaß eine Kneipe in der australischen Provinz. Ihre Großeltern mütterlicherseits waren ukrainische Einwanderer, die nach Australien kamen und kein Englisch sprachen. »Ein Teil von mir versteht diese Kneipenwelt und ein Teil von mir hat Angst davor«, sagt die Filmemacherin. »Ich habe das Gefühl, dass mein Hintergrund es mir ermöglichte, beide Seiten zu sehen.
Ich wollte immer einen australischen Film machen. Seit der Filmschule hatte ich keinen Film mehr in Australien gedreht – ich verließ Australien und begann in der Ukraine und in Nordamerika zu drehen. Ich sah Australier auf Filmfestivals, und Leute von Screen Australia und anderswo sagten: „Komm und mach einen Film in deinem Heimatland!“ Aber vor The Royal Hotel hatte ich nie die Gelegenheit dazu.«
Der Film besticht einerseits durch das Lokalkolorit. Es gibt sogar ein Känguru zu sehen! Zudem lebt der Film durch die Dynamik der beiden jungen Frauen, gespielt von Julia Garner als die Wachsame und Ängstliche und Jessica Henwick als ihr Gegenpol. Während Liv ihre Urlaubsarbeit genießt und mit den Minenkumpeln Spaß hat, weist Hanna sämtliche Avancen von sich – was den einen oder anderen zu drastischeren Herangehensmethoden verleitet.
»Das Wesentliche an diesem Film ist, dass die Welt von The Royal Hotel nie als so schlimm dargestellt wird, dass die Frauen aussteigen müssen«, sagt Produzent Emile Sherman. »Die zentrale dramatische Frage des Films lautet nicht: Werden sie aussteigen? Sie lautet: Sollten sie? Das ist eine viel subtilere Frage, aber sie ist viel stärker, weil sie diese sehr männliche Kultur und das, was an dieser Kultur inakzeptabel ist, auf den Punkt bringt.
Als Zuschauer sieht man auch, dass die Männer in dieser Kultur gefangen sind. Alle haben positive Eigenschaften, und Kitty zeigt auf brillante Weise die Wärme und Verletzlichkeit der Männer, aber auch die toxische Seite der männlichen Kultur und die reale Gefahr und Bedrohung.«
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Kitty Green gelingt es, das Publikum bei der Stange zu halten, ohne in irgendein Genre abzudriften. Der Film macht Spaß und dann wieder Angst – ein Auf und Ab der Gefühle. Man spürt bei Hanna, wie sie sich immer mehr in die Ecke gedrängt fühlt. Man spürt mit ihr die Angst. Und dann passiert doch nichts. Und dann doch! Und Liv sieht nicht das, was Hanna spürt, was diese wiederum noch mehr ängstigt und dazu veranlasst, ihre Beschützerrolle auf Liv auszuweiten.
Großartig sind auch die Herrschaften – allen voran ein kaum wiederzuerkennender Hugo Weaving mit Rauschebart, der als Pub-Besitzer mal väterlich, mal egoistisch oder einfach nur besoffen auftritt. Auch Matty, der jüngste Partyhengst und Kylie-Fan, der die Mädels zu einer Lagune führt, ist ein liebenswerter Kerl – bis er zuviel intus hat und seine Pfoten nicht mehr zurückhalten kann.
Und dann ist da noch Dolly, der mit Liv flirtet, aber von Hanna immer wieder zurückgewiesen wird und dadurch mit seinem Psychospiel antwortet. Immer wieder bangt man mit Hanna. Wird jetzt jemand getötet, entführt, vergewaltigt? Die Spannung köchelt stets im realen Bereich der menschlichen Psyche, weshalb der Horror im Film die ganz alltägliche Angst von Frauen in einer unbekannten Umgebung widerspiegelt.
»Und das ist eine Situation, die nur allzu oft bei jungen Frauen vorkommt, die in ein Umfeld kommen, in dem sie wenig Macht haben, wo sie anfangen können daran zu zweifeln, ob ihre Version der Realität die richtige ist, und wo sie in eine Kultur hineingeraten, die ihnen das Gefühl gibt, dass sie die Verrückten sind«, fügt Emile Sherman hinzu.

05.03.2024 | mz
Kategorien: Kino