Freitag, 29. März 2024
Holy Motors
Holy Motors Limousinen Service
© Arsenal Filmverleih
Vom Sonnenaufgang bis tief in die Nacht: einige Stunden im Leben von Monsieur Oscar, einer schattenhafte Existenz, die von einem Leben ins nächste schweift. Mal ist er ein Industriekapitän, mal ein Killer, ein Bettler, ein Monster oder ein treusorgender Familienvater… Monsieur Oscar scheint Rollen zu spielen, taucht in jeden Part komplett ein. Aber wo befinden sich die Kameras?
Er ist alleine, nur Céline begleitet ihn, die große Blonde hinter dem Steuer der riesigen Stretchlimousine, die ihn durch Paris und in die Vororte kutschiert, wie einen Profikiller, der von Auftrag zu Auftrag eilt, in der Vollendung einer schönen Geste, des Antriebs einer Aktion, der Frauen und Phantome seines Lebens. Aber wo ist sein Zuhause, seine Familie, kann er sich erholen…?
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Der Film beginnt mit einer Ouvertüre, bei der der Regisseur selbst auftritt. Im Schlafanzug erwacht er und findet in der Wand mit Waldtapete eine Tür, die in einen vollbesetzten Kinosaal führt. »Zuerst hatte ich dieses Bild eines großen, vollbesetzen und für eine Filmvorführung verdunkelten Kinosaales im Kopf. Aber die Zuschauer sind komplett erstarrt, und ihre Augen scheinen geschlossen zu sein. Sind sie eingeschlafen? Tot?«, spekuliert Leos Carax.
Holy Motors ist ein Film, der viele Interpretationsmöglichkeiten offen lässt. Franz Kafkas Satz „Da gibt es eine Tür in meiner Wohnung, die ich bisher niemals bemerkte.“ war hierfür Inspiration, die auch ein jedes Segment des Films eröffnen kann. Einerseits bietet der Film dem dümmlichen Einheitsbrei Hollywoods & Co. Paroli, andererseits ist der Film eine Metapher des alltäglichen Lebens, dass man, wie in (ja, ich muss da mal ein Hollywoodmärchen zitieren) Joe gegen den Vulkan beschrieben, die meisten Leute nicht wirklich leben. Nur einige Menschen leben wirklich, die sich dann in einem Rausch von immerwährender Begeisterung wiederfinden.
Monsieur Oscar scheint ein Ausdruck des Weltbilds des Regisseurs zu sein, wonach wir alle austauschbar sind bzw. manchmal einen Klapps brauchen, um zu merken, dass wir noch leben. So verwandelt sich Oscar in die abwegigsten Figuren, um verschiedenen Menschen diesen Klapps zu geben. Für wen er das macht, sei dahingestellt. Ist es Gott? Der Teufel? Eine übergroße Organisation? Wie ein Auftragskiller erledigt er seine Termine mit höchster Präzision.
Leben und Tod gehen Hand in Hand in diesem kafkaesken Reigen und vermischen sich zu schicksalhaften Begegnungen der dritten Art. Leos Carax: »Es gibt nie eine Ausgangsidee oder Absicht bei einem meiner Filme, nur zwei, drei Bilder oder Gefühle, und die füge ich zusammen. Für Holy Motors hatte ich unter anderem das Bild dieser Stretchlimousinen im Kopf, die in den letzten Jahren aufgetaucht sind… Sie passen vorzüglich in unsere Zeit – protzig und geschmacklos. Von außen sehen sie gut aus, aber im Innern fühlt man dieselbe Traurigkeit wie in einem Stundenhotel. Trotzdem berühren sie etwas in mir. Sie sind veraltet, wie alte Science-Fiction-Spiele. Ich glaube, sie markieren das Ende einer Epoche, wie die großen, sichtbaren Maschinen.
Sehr schnell wurden diese Autos das Kernstück des Films – sein Motor, wenn ich das so sagen kann. Für mich sind sie wie lange Gefäße, die Menschen auf ihren letzten Reisen transportieren, bei ihren letzten Aufgaben. Der Film ist also so eine Art Science Fiction, in dem Menschen, Tiere und Maschinen vom Aussterben bedroht sind – „heilige Motoren“, die durch ein gemeinsames Schicksal verbunden sind, Sklaven einer zunehmend virtuellen Welt – eine Welt, aus der die sichtbaren Motoren, gelebte Erfahrungen und echte Aktionen allmählich verschwinden.«
Mit der interessanten Besetzung von Popikone Kylie Minogue über Eva Mendes bis zu Michel Piccoli sollte man einiges erwarten. Es bleibt jedoch ein Film voll offener Fragen. Wer sind wir? Wo gehen wir hin? Kann man daran etwas ändern? Nichts ist, wie es scheint. Und doch ist es so – witzig, spannend und vor allem rätselhaft. Holy Motors ist Kunstkino par excellence.

09.12.2022 | mz
Kategorien: Feature | Filme