Montag, 29. April 2024
Kash Kash

Without Feathers we can't live

كشكش

Aisha mit einer Taube auf einem Dach irgendwo in Beirut
© Camino
Unter der goldenen Sonne über den labyrinthartigen Straßen Beiruts fliegen jeden Abend Taubenschwärme aus ihren Käfigen. Ihr Flug folgt der Choreografie einer jahrhundertealten Tradition – dem Glückspiel „Kash Hamam“. Jeder Spieler besitzt einen Schwarm und lässt seine Tauben über seinem Haus kreisen, in der Hoffnung, die Tauben der Nachbarn auf sein eigenes Dach zu locken. Wenn eine gegnerische Taube auf einem anderen Dach landet, wird sie eingefangen, und somit der eigene Spielschwarm vergrößert. Das ist ein „Kash“.
In einer dystopischen Zeit des jüngsten politischen Untergangs des Libanons begeben wir uns auf eine Reise über die Dächer Beiruts. Wenn alles zugrunde geht, warum halten wir am Fliegen fest? Der Film beobachtet den Konflikt einer Stadt im Umschwung aus der Perspektive von drei Taubenspielern und einem jungen Mädchen, das darum kämpft, eines Tages ihre eigenen Vögel fliegen zu lassen.
Mit ihrem Debütfilm zeichnet die Filmemacherin Lea Najjar ein feinfühliges Porträt ihrer Heimatstadt – einer Stadt, die von korrupten Eliten, politischem Protest und einer Explosion, die in die Geschichte eingegangen ist, gezeichnet ist. Mit Eleganz und Leichtigkeit fliegen die Tauben an den Trümmern am Hafen vorbei – ein Symbol für Liebe, Frieden und die Resilienz der Bewohnenden von Beirut, die in eine ungewisse Zukunft steuern – ein fulminanter Film, der mit seinen cineastischen Bildern und dem Takt des Flügelschlags eine Melodie der Hoffnung komponiert.
Die Spielregeln
Man steht auf dem Dach und hält einen langen Stock in der Hand mit einem weißen Stück Stoff an der Spitze und dirigiert seine Vögel um sich. Durch Zwitschern und Rufe wird die Vogelschar in den Himmel getrieben. Dies ist die gemeinsame Sprache zwischen dem Besitzer und seinen Tauben. Diese zirkeln instinktiv im Himmel in großen Kreisen über ihrem Dach.
In jeder Nachbarschaft hat ein Kash-Hamam-Spieler seine Gegner, welche von anderen Dächern zeitgleich ihre Schwärme fliegen lassen. Über den Dächern feuern sie ihre Vögel an und schleudern Orangen in die Luft, um ihre Tauben zu erschrecken und den Radius des kreisenden Schwarmes zu vergrößern. So kreisen diese aneinander, immer näher an die Schar des Gegners, über den Hausdächern aneinander vorbei.
Wie zwei Zirkel, die sich immer enger umzingeln, können sich die Schwärme für ein paar Momente berühren, miteinander vermischen und die Tauben aus ihrer Orientierung reißen. Der dominierende Taubenschwarm zieht dann ein paar Vögel in seinen eigene Schar. Wenn der Schwarm zurück auf dem eigenen Dach landet, hat er neuen Fang erobert oder ein Mitglied verloren.
Von der neuen Vogelbeute werden nun die Federn abgeschnitten, damit sie nicht mehr nach Hause fliegen kann, bis ihr Gefieder nachgewachsen ist. Und wenn der Vogel wieder fliegen kann, hat er sich an das neue Heim umgewöhnt. Der Verlierer muss hilflos auf eine weitere Runde warten, um seine Tiere zurück zu ergattern oder andere Tauben seiner Gegner zu entführen – ein ewiges Roulette im Himmel.

14.12.2023 | mz | Quelle: Camino
Kategorien: Filme