Donnerstag, 25. April 2024
Von wegen nur gute Freunde
What if
Wallace und Chantry treten in die Fußstapfen des legendären Filmpärchens Harry und Sally.
📷 Caitlin Cronenberg | © wild bunch
Wie alle Romantiker versteckt Wallace sein weiches Herz hinter einer witzig-coolen Fassade. Nach einer gescheiterten Liebe hat er sein Medizin-Studium hingeschmissen, jobbt für eine Softwarefirma und betrachtet nachts den Sternenhimmel über Toronto. Als er sich eines Abends doch zu einer Party aufrafft, trifft er auf Chantry, eine junge Trickfilmzeichnerin mit sanften Augen und schrägem Humor. Wie er liebt sie Wortspiele und pariert seine Provokationen charmant.
Wallace ist hingerissen, doch Chantry hat einen Freund, den erfolgreichen Juristen Ben, mit dem sie zusammenlebt. Obwohl sie sich zu Wallace hingezogen fühlt, will sie nur mit ihm befreundet sein – für die beiden sensiblen Endzwanziger ein guter Deal. Zunächst. Wenn sich Gefühle nur kontrollieren ließen… Chantry und Wallace tun jedenfalls alles dafür – was immer wieder zu Situationen von grotesker Komik führt. Denn eigentlich wissen sie, dass sie zusammengehören. Aber haben sie auch den Mut dazu?
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Liebe ist schön, tut aber weh. Da gibt es doch sichere Alternativen. Wallace und Chantry erinnern an ein legendäres Kinopaar: auch Billy Crystal und Meg Ryan hatten sich als Harry und Sally eigentlich für Freundschaft entschieden, doch es scheinen andere Kräfte am Werk zu sein. Timing ist alles. Man trifft jemanden, zu dem man eine intensive Verbindung spürt und liebend gern mit ihm eng umschlungen auf derselben Welle reiten will. Doch dieser Jemand ist bereits in einer Beziehung und möchte nicht mehr als Freundschaft.
Während es bei Harry und Sally um die These ging, dass Männer und Frauen niemals nur Freunde sein können, weil stets der Sex zwischen ihnen steht, geht es bei Wallace und Chantry (übrigens ein bezaubernd außergewöhnlicher Name, der auch zu der knuffigen Enkelin von Regielegende Elia Kazan passt) um das Verhältnis der inneren Anziehungskraft der beiden und der äußeren Umstände.
»Das F in The F-Word steht nicht für das bekannte F-Wort! Es steht für Freundschaft«, sagt Drehbuchautor Elan Mastai»Im Film geht es um Beziehungen, die gerade nicht passen, sich aber nicht leugnen lassen. Das Timing ist so entscheidend, wenn du den oder die Richtige finden willst. Ich mag Leute, die sich dabei anständig verhalten wollen. Aber du kannst dich nicht selbst belügen, wenn du glücklich sein willst. Das ist das Thema von The F-Word.«
Daniel Radcliffe ist hier in seiner ersten Komödie zu sehen, auch wenn man bei der Genrebezeichnung vorsichtig sein muss, denn wirklich zum Lachen ist der Film jetzt nicht gerade. Es ist eine Liebesgeschichte ohne Sex, ein Drama mit Humor, eine Komödie voller Ärgernisse. Der Film wirkt auf das Publikum wie das im Film beschriebene „Fool’s Gold“, das schließlich am Ende des Films allen serviert wird. Erdnussbutter und Marmelade sind die Hauptfiguren (kann man sich aussuchen, wer was ist), der Speck sind die Nebenfiguren, die die Geschichte voran treiben, und das Weißbrot ist der gesamte Film. Am Ende kann man sich aussuchen, ob’s geschmeckt hat oder ob man sich das auch hätte sparen können. Letztlich ist alles Ansichtssache, aber ekliger als das beschriebene Rezept wird es kaum!
»Einer der Gründe, weshalb ich so scharf darauf war, diesen Film zu machen, war die Szene, in der Wallace Chantry bei der Aussprache eines Worts korrigiert. Da wusste ich, dass ich diesen Typen mag«, gesteht Daniel Radcliffe und fügt hinzu: »Wallace lebt ziemlich zurückgezogen, ist nicht gerade gesellig, aber er hat den tiefen Wunsch, dazuzugehören. Er ist ein liebenswerter Typ, aber ein wenig auf dem Holzweg, was seine Schwarz-Weiß-Wahrnehmung von Beziehungen angeht. Doch genau das ist auch spannend an ihm. Er ist interessant, kompliziert und sehr lustig.«
»Ich glaube, Chantry erlebt etwas, was viele junge Frauen kennen: Du triffst einen Mann, und da ist etwas zwischen dir und ihm, aber du fühlst dich wahnsinnig verantwortlich dafür, dass keiner von euch beiden darüber spricht, weil du in einer anderen Beziehung bist«, sagt Zoe Kazan über die Freundschafts-Falle. »Wie geht man mit so einem Dilemma elegant um? Chantry spürt die Verbindung zwischen ihr und Wallace sofort. Ich glaube, sie wünscht sich, sie wäre besser damit umgegangen, aber andererseits hat sie nicht das Gefühl, irgendetwas Falsches getan zu haben.«
Ich glaube, jeder, der schon mal in solch einer Situation gewesen ist (oder auch gerade ist), wird sich in die beiden Hauptfiguren hineinversetzen können. Alle anderen finden sich womöglich in einer der Nebenfiguren wieder: Ben, Chantrys Freund, mit dem sie seit fünf Jahren zusammenlebt, als sie Wallace trifft, ist nicht, wie sonst üblich, der unsympathische Widersacher des romantischen Helden. Rafe Spall spielt den gefragten UN-Copyright-Anwalt keineswegs als Karikatur eines Erfolgsmenschen. Ben ist nachdenklich, bodenständig und hat sicher keine heimliche Pornosammlung. Vor allem liebt er seine Freundin wirklich. Kurzum: Er ist perfekt. Aber ist er auch perfekt für Chantry?
Wallaces bester Freund Allan, verkörpert von Adam Driver, versteckt nie, was er will und spricht immer aus, was er denkt. Auch wenn Wallace das gerade nicht hören will. Freundschaften wie diese entstehen, wenn auf dem College ein Zimmer teilt. Hinzu kommt, dass sich Allan auf seiner Party, auf der Wallace Chantry kennenlernt, ebenfalls verliebt – in die wilde Nicole, ein Freigeist, der kein Blatt vor den Mund nimmt und auch sonst wenig Hemmungen zeigt, wie sich später herausstellt, wenn Nicole und Allan beim nächtlichen Nacktbaden der Vier Wallace und Chantry allein und mit nur einem Schalfsack zurücklassen. Allan und Nicole sind sozusagen das graue Gegenstück der festgefahrenen Hauptfiguren.
Dalia, Chantrys sarkastische Schwester, ist eine durchaus zwiespältige Figur. Einerseits will sie ihre große, sensible Schwester beschützen, andererseits sieht sie in ihr aber auch eine Konkurrentin. Immer auf neue Flirts aus, will sie sich mit dem nächsten Lückenbüßer über ihr jüngstes romantisches Desaster hinwegtrösten. Megan Park, die Dalia spielt, mochte sie aber trotzdem und verstand sie gut: »Ich glaube, sie ist heiß und kalt zugleich, wie viele Leute in ihren Zwanzigern. Sie liebt ihre Schwester, aber natürlich muss sie Wallace herausfordern. Ich habe die Rolle wirklich gern gespielt.«
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Eingepackt wird der Film in Animationen. Chantry arbeitet als Trickfilmzeichnerin. Die Animation stellt so auch eine Verbindung zu ihrem kreativen Kosmos her. Vor allem aber verkörpert die Animationsfigur Chantrys unbewusste Wünsche. Schwerelos schwebt sie dorthin, wo sie eigentlich sein will – in Richtung Wallace. Gezeichnet ist sie in Chantrys unverwechselbarem Stil, wie eine Figur aus ihrem Skizzenbuch – liebenswürdig, mit leichter Hand, zart koloriert, ein wenig retro, verspielt und klassisch zugleich. Regisseur Michael Dowse sagt: »Die Animation hilft dem Zuschauer, sich in Chantrys Gedanken hineinzubegeben, und gleichzeitig ist sie ein Schaukasten ihrer kreativen Arbeit.«
Der Film, der hierzulande unter dem Produktionstitel erscheint (mit deutschem Untertitel), kam in den englischsprachigen Ländern unter dem Titel What if (Was wäre wenn) in die Kinos. Beide Titelversionen nehmen sich nicht viel in Bezug auf die eigentliche Geschichte. In Anlehnung an das US-Vorbild hätte man Chantry den Namen Gromit geben und das Ganze „Wallace & Gromit – Let’s be Friends“ nennen sollen. The F-Word ist ein niedlicher Film über Liebesbeziehungen von Heute, stets sauber und seicht, man könnte schon sagen Easy Viewing. Manch einer wird sich vielleicht am Happy End stoßen, aber eine vernünftige Liebesgeschichte, die, wie schon damals bei Harry und Sally, den ganzen Film über hin und her dümpelt, verlangt einfach danach! Herausgekommen ist eine netter, leicht verträumter Film, der selten anstrengt und gut unterhält.

08.12.2022 | mz | Quelle: wild bunch
Kategorien: Feature | Filme