Montag, 18. März 2024
Harlan Thrombey ist tot! Und nicht nur das – der renommierte Krimiautor und Familienpatriarch wurde nach der Feier zu seinem 85. Geburtstag umgebracht. Doch natürlich wollen weder die versammelte exzentrische Verwandtschaft noch das treu ergebene Hauspersonal etwas gesehen haben.
Ein Fall für Benoit Blanc! Der lässig-elegante Detektiv beginnt seine Ermittlungen, und während sich sämtliche anwesenden Gäste alles andere als kooperativ zeigen, spitzt sich die Lage zu und das Misstrauen untereinander wächst. Ein komplexes Netz aus Lügen, falschen Fährten und Ablenkungsmanövern muss durchkämmt werden, um die Wahrheit hinter Thrombeys vorzeitigem Tod zu enthüllen.
»My house, my rules, my coffee.«
Harlan Thrombey
Das Rezept ist ein Klassiker. Man nehme eine Gruppe privilegierter Exzentriker, vermische sie mit einigen ihrer getreuen Angestellten, füge eine Leiche hinzu und lasse das Ganze in einem gelackten und doch verblüffenden Anwesen (unter den Augen eines Meisterdetektivs) aufkochen, bis der Mörder ausgemacht wird, bereit, den Rest seines Lebens im Gefängnis zu verbringen. In diesem Film wird ein solches unwiderstehliches Szenario mit Gusto auf den heutigen Stand der Dinge gebracht, angereichert mit schneidendem Witz und einem rasiermesserscharfen Blick auf die sozialen Sitten und Familienbande im 21. Jahrhundert.
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Daniel Craig beschwört als Benoit Blanc den Geist von Hercule Poirot (mit einer liebevollen Verbeugung vor dem ikonischen Maskottchen von Kentucky Fried Chicken, Colonel Sanders) herauf. Er ist ein Privatdetektiv, der sich inmitten eines Mordgeheimnis wiederfindet, wie es sich Agatha Christie nicht verzwickter hätte ausdenken können. Nach dem mysteriösen Tod des weltberühmten Schriftstellers und Familienpatriarchs Harlan Thrombey schließt sich Blanc dem Polizeibeamten Elliott und Trooper Wagner an und verhört den Thrombey-Clan – ein stargespicktes Ensemble schräger Vögel, die nur eins vereint: die Gier nach dem vermeintlich zum Greifen nahen Vermögen des alten Mannes.
Harlan hat eine klaffende Halswunde und hält das Messer selbst noch in Händen, als man ihn findet. Für Lieutenant Elliott und Trooper Wagner zumindest ist es eine klare Sache: Selbstmord. Aber natürlich sieht die Wahrheit ganz anders aus. Der weltberühmte Benoit Blanc, „der letzte der Gentleman-Spürnasen“, wittert völlig zu Recht, dass die ganze Sache faul ist. Als die Ermittler mit ihrer Befragung der Thrombey-Familie und ihrer Angestellten beginnen, wird schnell deutlich, dass nicht einer der Verdächtigen ein Alibi vorweisen kann, das wasserdicht ist.
Glücklicherweise hat Blanc eine Geheimwaffe an seiner Seite: Marta, die spanische Pflegerin des verstorbenen Patriarchen, und allem Anschein nach der letzte Mensch, der ihn lebend sah – eine durch und durch unschuldige junge Frau, die von allen gemocht wird. Weil es ihr unmöglich ist, zu lügen, ohne sich danach übergeben zu müssen, erweist sie sich als nützliche, wenngleich hin- und hergerissene Mitstreiterin für Blanc, als er unerschrocken den Thrombeys auf den Zahn fühlt und ihre möglichen Motive, zweifelhaften Alibis und Selbstgefälligkeiten entlarvt. Er kitzelt ihre Gier hervor, ihre persönlichen Streitigkeiten und Beweggründe und sieht dabei zu, wie die Familie beginnt, sich nach und nach zu zerfleischen, bis schließlich der überraschende Mörder offenbart wird – und damit alles auf den Kopf gestellt wird, was die Familie über sich gedacht hat.
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»So ein Drehbuch findet man nicht alle Jubeljahre, so ein Drehbuch findet man eigentlich nie«, sagt Don Johnson, der den verzweifelten Schwiegersohn spielt. »Alles fügt sich ineinander. Alles ist miteinander verbunden. Die Figuren sind witzig und wahrhaftig. Man liest es und denkt sich: ,Diese Figur muss ich spielen!‘«
»Agatha Christies Geschichten haben keine Botschaften. Aber wenn man sich ihre Figuren ansieht, dann erzählt sie auch immer etwas über die gesellschaftlichen Sitten des Großbritanniens ihrer Zeit«, erklärt Regisseur und Drehbuchautor Rian Johnson, der sich nach Star Wars | Episode VIII | Die letzten Jedi wieder in ganz irdische Verhältnisse zurückgezogen hat.
»Ich denke, das übersieht man heute ganz gern, wenn man die Parade all der Butler und Offiziere sieht. Man vergisst, dass das damals eine ganz aktuelle Betrachtung einer anderen Sphäre der Gesellschaft war. Ich habe also die Gelegenheit wahrgenommen, das Genre für mich zu nutzen, um etwas über das Amerika von heute und die Menschen in diesem Land zu erzählen. Das war sehr aufregend.«
Als größte Herausforderung entpuppte sich, wie er schon bald feststellen sollte, das sorgfältige Plotten, mit dem dieses Genre steht und fällt: Das Publikum von heute sollte die Gelegenheit erhalten, sich selbst wie ein Detektiv zu fühlen und mitzurätseln, während einen die Spannung der Handlung an den Kinosessel fesselt.
»Wenn man ein Labyrinth mit so vielen verschiedenen Figuren hat, mit so vielen verschiedenen Motiven und ständig neuen Handlungswendungen, dann ist die Arbeit noch nicht gemacht, wenn man die Grundstruktur ausgetüftelt hat, wie das sonst der Fall ist. Dann geht die Knobelei erst richtig los«, erzählt der Filmemacher über die aufwändige Arbeit, die er ins Drehbuch stecken musste, dessen Anfänge zehn Jahre zurückreichen. »Das Geheimnis besteht darin, dass das Publikum die Plotmechanik nicht merken darf. Es muss sich voll und ganz auf eine unterhaltsame Geschichte einlassen können.«
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Und man lässt sich darauf ein. Ganz besonders zu betonen ist die Ausstattung des Films. In dem „kleinen“ Haus steckt so viel, als hätte Rian Johnson das Budget eines weiteren Star Wars-Films gehabt. Neben den erstklassigen, recht teuren Schauspielenden gibt es jede Menge Details im Hintergrund zu sehen, manche davon scheinen Mitbringsel der Stars zu sein. So erinnert z.B. ein Modellhaus im „Verhörraum“ an Toni Collettes Rolle in Hereditary, in der sie eine solche Modellistin gespielt hatte.
Auch ist der Stuhl, auf dem die Verhörten sitzen, und die künstlerisch gestaltete Schneidwerkeskulptur dahinter nicht nur ein Zeichen von Reichtum, auch zeugt die Skulptur aus Messern, Beilen, Sägen und Scheren von Angriffslust und Überlegenheit. Und man kommt nicht umhin, zu denken, dass diese Skulptur noch eine größere Rolle spielen wird.
Wenn man mitknobelt, kommt man relativ schnell dahinter, dass es kein Mord sein kann, weshalb auch die Auflösung nach guten zwei Stunden wenig Überraschungen bietet, höchstens der Umgang mit dem Ergebnis der Ermittlungen. Aber hier wird dasselbe Prinzip wie bei einem Unterwegsfilm angewendet. Egal, wie die Geschichte ausgeht: Der Weg ist das Ziel. Und so feixt man sich ins Fäustchen, wenn sich die Familienmitglieder mit hervorragenden Wortgefechten bekriegen. Zudem spielen alle auch passend schrullig, damit das Ganze auch Spaß macht.
Allerdings finde ich Daniel Craig irgendwie fehlbesetzt. Sein Spiel wirkt ein wenig unschlüssig und sein Akzent, der südstaatlerisch sein soll, ist akustisch nicht einzuordnen. Zudem hat die Figur einen französischen Namen, was irgendwie nicht zusammenpasst. Rian Johnson bezeichnete die Figur übrigens als „amerikanischen Poirot“ – gespielt von einem Briten! Das passt vorne und hinten nicht.
Was jedoch ganz witzig ist, ist, dass bei Martas Mutter im Fernsehen Mord ist ihr Hobby läuft (natürlich auf Spanisch synchronisiert). Interessant ist auch, was Rian Johnson dazu geritten hat, einen Hallmark-Film zu erfinden, in dem Danica McKellar mit spielen soll. Danica McKellar war damals die Angebetete von Fred Savage in der beliebten Jugendserie Wunderbare Jahre. Die Schauspielerin war jedoch begeistert, dass sie in der Handlung erwähnt wurde, auch wenn der dort genannte Film „Deadly by Surprise“ nicht existiert.
Immerhin hat sich mit diesem Film Ana de Armas, die bereits in Filmen wie Overdrive und Blade Runner 2049 in größeren Rollen mitgespielt hat, mit ihrem unaufdringlichen, natürlichen Spiel in die Gehirne der Zuschauenden gebrannt. Für ein Wiedersehen braucht man jedoch nicht allzu lange zu warten. Zusammen mit Daniel Craig wird sie im kommenden Bond-Film James Bond 007 | Keine Zeit zu sterben zu sehen sein.

11.12.2023 | mz
Kategorien: Feature | Filme