Er ist wieder da – diesmal noch einen Tick abgedrehter! Die Rede ist von Deadpool – jener autonome Superheld, der es den X-Men Colossus und Negasonic Teenage Warhead schwer macht, ihn in die X-Men-Gemeinde aufzunehmen. Immerhin lautet sein Motto: „There is nothing I can’t kill.“ Und so metztelt er sich im Prolog um die Welt, um die Bösesten der Bösen mindestens ein Körperteil kürzer zu machen.
Beginnen tut der Film jedoch mit einem Knall – für Marvel-Fans in etwa so, wie Avengers | Infinity War endete. Deadpool sitzt daheim auf einem wörtlichen Pulverfass und jagt sich und die Wohnung in die Luft. Moment mal! Wie jetzt? Genauso sitzt man vor der Leinwand und fragt sich, wie Deadpools Ende am Anfang der Geschichte zu einem akzeptablen Schluss führen kann! Und während seine Körperteile in Zeitlupe einem entgegenfliegen, beginnt, analog zum ersten Film, ein scherzhafter Vorspann – diesmal in bester Bond-Manier zu einem Lied von Celine Dion!
Regisseur des Films ist David Leitch – im Scherzvorspann bezeichnet als „einer der Typen, die den Hund in John Wick 2 getötet haben“. Er fungierte dort als Produzent, während er beim ersten John Wick-Film Regie führte. Die zweite Regiearbeit des Stuntmans, Atomic Blonde, ging ebenfalls in Richtung Action – diesmal mit einer Frau in der Hauptrolle. Insofern kann man schon erahnen, worauf es in Deadpool 2 hinausläuft.
Doch hier konnte er sich zusätzlich auf die Drehbuchentwürfe von Rhett Reese, Paul Wernick und die fortlaufenden Änderungen von Ryan Reynolds verlassen, die der Geschichte mehr Tiefe verliehen. Letzterer ist übrigens auch noch in dritter Funktion als Produzent tätig! »Es gab eigentlich keine finale Fassung«, sagt Rhett Butler Reese. »Noch während wir mit der Nachproduktion von Deadpool beschäftigt waren, änderten wir Dialoge. Da das Gesicht unseres Helden hinter einer Maske verborgen ist, konnten wir ihm Worte in den Mund legen, wie wir wollten.«
»George Michael was right: „I never gonna dance again.“
Fuck! He’s dead, too. At least we still have Bowie.«
Wade Wilson
Der eigentliche Film mit der Haupthandlung beginnt, ebenso ähnlich wie bei James Bond, nach dem Vorspann – in dem sich Deadpool in die Luft gejagt hat. Hm. Wer den ersten Film gesehen (oder die Comics gelesen) hat, weiß aber, dass Deadpool alias Wade Wilson nicht so einfach zu töten ist, da seine Körperteile schnell wieder nachwachsen! So kommt es später während einer weiteren Regeneration im bösewichtfreien Unterschlupf der blinden Al zu einer aberwitzigen (und nicht ungesehen zu machenden) Anspielung auf Basic Instinct!
Auch sonst spielen wieder Verweise auf andere Popkulturphänomene eine große Rolle – vor allem auf die X-Men, insbesondere Wolverine, der gleich zu Beginn des Films als Büroutensil in Form eines aufgespießten Logan zu sehen ist. Auch sonst hat man sich Deadpools Frage nach mehr X-Men aus dem ersten Film zu Herzen genommen und lässt nicht nur Wade in Xaviers Mutantenschule regenerieren und mit dem Rollstuhl des Professors durch die Gänge rasen, man bekommt sogar für einen kurzen Augenblick Professor X und sein Superhelden-Team zu sehen, das sich im Hintergrund gerade in einer Beratung befindet! Und um das Ganze aktuell zu halten, kommt auch noch die Frage, warum ein Bild von Karl Marx im Flur hängt!
Deadpool macht aus dem Off gleich zu Beginn klar: Während Deadpool in Wirklichkeit ein Liebesfilm war, ist Deadpool 2 faktisch ein Familienfilm! Nicht nur, dass Freundin Vanessa Nachwuchs erwartet (mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden), auch der Terminator Cable, der aus der Zukunft kommt, um den fettleibigen X-Jungen Russell zu töten, der eine Feuersbrunst mit seinen Händen entfachen kann und sich selbst passenderweise Firefist nennt, sinnt nach Rache, nachdem der erwachsene Russell Cables Familie entflammt hat.
Und so kreuzen sich ihre Wege just in dem Moment, in dem sich Deadpool als X-Men-Lehrling seine Sporen verdienen will/soll: Ohne zu töten soll Deadpool Russell bezwingen, was ihm schließlich auch gelingt – nicht jedoch ohne negativ bei der Presse aufzufallen und mit Russell im X-Gefängnis zu landen, in dem ihre Mutantenkräfte mittels Halsband unterdrückt werden können (so z.B. in der X-Men-Ableger-Serie The Gifted zu sehen).
Dort materialisiert sich schließlich Cable, der die Jagd auf den (noch) unschuldigen Russell eröffnet. Während Wade die ganze Zeit über deprimiert seinem Tod entgegenblickt (wir erinnern uns: Klasse-IV-Krebs, der nur durch die mutierten Gene in Schach gehalten wird), versucht Russell, mit ihm Freundschaft zu schließen. Erst als sein Halsband durch einen glücklichen Zufall ausgeschaltet wird, bekommt er neuen Lebensmut und setzt alles in seiner Macht stehende dazu ein, Russell vor Cable, und vor allem vor Russells düsterer Zukunft zu retten.
»You’re so dark. Are you sure you’re not from the DC Universe?«
Wade Wilson
»Wade Wilson lebt am Rande der Gesellschaft ein geplagtes Leben«, sagt Rhett Reese. »Das wollten wir auch in Deadpool 2 herausarbeiten und überlegten uns entsprechend einen düsteren Plot. Deadpool ist immer noch ein Außenseiter, der sich mehr schlecht als recht durchschlägt – so etwas nimmt einen für eine Figur immer ein. Und auch Cable hat in seinem Leben viel verloren – Frau und Tochter sind Opfer eines Wahnsinnigen geworden.
Nun tut er alles, was in seiner Macht steht (inklusive in der Zeit zu reisen), um diese Tat zu sühnen und seine Lieben zu reanimieren. Um tiefe Gefühle geht’s also, die mit viel Humor gebrochen werden. Wir haben es hier nicht mit einer Farce oder einer Tollerei zu tun, hier dreht sich alles um echte Gefühle. So etwas, glaube ich, spricht Kinogänger an.«
»Cable ist ein Getreuer der X-Force«, führt Paul Wernick aus. »Deadpool ist für ihn der Türöffner in die X-Force-Welt und dort ein wichtiges Mitglied. Cable ist der Normale im Gegensatz zu Deadpools Verrücktheit. Die beiden sind grundsätzlich verschiedene Typen. Sie sind unterschiedlich in ihrem Wesen, gleichen sich aber insofern, da sie beide seelisch gebrochen sind. Beide haben etwas verloren, beide suchen nach etwas – und finden schließlich einander.«
Doch um Cable von dessen Vorhaben abzubringen und gleichzeitig in die X-Men-Gemeinde („Es braucht nur 4 oder 5 Momente“) aufgenommen zu werden, gründet Deadpool erst einmal die „X-Force“ (weil’s besser klingt). So veranstaltet er, ganz so wie es bei Schauspielern der Fall ist, ein Vorsprechen, das frisch und originell daherkommt, zumal die Figuren, die sich dort vorstellen, wirklich witzig erscheinen. Zu ihnen gehören u.a. der „Vanisher“ – ein Unsichtbarer, der von Terry Crews gespielte Muskelprotz Bedlam, der Normalo Peter, der einfach nur dabei sein will, sowie der jungen Domino, dessen beseondere Fähigkeit Glück ist.
Domino, die eindrucksvoll von der Berlinerin Zazie Beetz gespielt wird, hat nicht nur Glück, sondern besteht auch jeglichen Zweikampf, weshalb sie von Deadpool auch scherzhaft „Black Black Widow“ genannt wird. »Es brauchte nur zehn Seiten, bis jedermann Deadpool schätzte, aber Domino brauchte nur eine Seite, um Deadpool in ihren Bann zu ziehen!«, sagt Deadpool-Schöpfer Rob Liebfeld. »Sie hat’s echt drauf. Sie kann es mit allen aufnehmen, speziell mit Deadpool und Cable. Sie ist eine gefährliche Kämpferin mit einer einzigartigen Fähigkeit: Glück. Sie ist unberechenbar, man weiß nie, was sie als nächstes vorhat.«
Sie ist es letztlich auch, die vom neu gestalteten X-Force-Team neben Deadpool den Fallschirmsprung überlebt, um Cable aufzuhalten. Und auch die Zuschauenden schließen sie fix in ihr Herz ein. »Sie gehört dieser bunt zusammengewürfelten Truppe an, die aus ganz unterschiedlichen, dysfunktionalen Mitgliedern besteht«, sagt Paul Wernick. »Sie kommt mit Deadpools Scheiß überhaupt nicht klar, muss wegen ihm immer wieder mit den Augen rollen. Sie kann manchmal gar nicht glauben, dass sie Teil dieser Gruppe ist – aber genau da gehört sie hin. Das Publikum wird sich in sie genauso verlieben, wie wir es getan haben.«
Lange Rede, kurzer Sinn – Deadpool 2 steht seinem Vorgänger in Nichts nach und kann schließlich der ordentlich gerührten Werbetrommel entsprechen. Manchmal wirkt der Film ein wenig zu melancholisch, oft überladen und immer wieder chaotisch, doch die witzigen Dialoge, die aus dem ersten Film weiterentwickelten Figuren (z.B. NTW jetzt mit knuffiger Freundin) und, ja, auch die durchgehende Handlung machen Deadpool 2 zu einem liebevoll brutalen Kinoliebling – nicht zuletzt durch die Zusatzszene vor dem Abspann, die der Hauptfigur dann doch noch ein Happy-End bestreitet. Allerdings werden Marvel-Fans ein wenig enttäuscht sein, denn es gibt nicht nur keine Szene nach dem Abspann, auch sucht man Stan Lee vergebens! Dafür glaube ich aber, Deadpool zu Cable gesagt zu haben: „Shut up, Thanos!“ Oh holy Shitfalls!