Um seinem sicheren Tod durch Krebs zu entkommen, willigt Wade Wilson in ein riskantes Experiment ein, das ihn heilen und in einen Supersöldner verwandeln soll. Doch den Preis für sein Überleben bezahlt er am Ende mit schweren Qualen und körperlicher Entstellung.
Getrieben von Rache und durch Selbstheilungskräfte nahezu unsterblich geworden, jagt er nun als Mutant Deadpool seine Peiniger und gefährdet damit seine große Liebe Vanessa, die er nach seiner Verwandlung voller Scham aus seinem Leben verbannte.
»Was zur Kackbratze…«
Deadpool
Mit diesen Worten kann man den ersten Eindruck des Films beschreiben, denn solch eine Superheldenfigur hat es bislang noch nicht auf die Leinwand geschafft. Der Ex-Söldner mit Schnauze könnte auch ein waschechter Berliner sein, der sich mit seinen zahlreichen popkulturellen Reverenzen in die Herzen des zumeist männlichen Publikums kämpft. In den USA mit einer nicht jugendfreien NC-17-Freigabe gesetzt, durfte der etwas andere, kantige bis grantige Marvel-Held ausnahmsweise im Februar in die Kinos kommen, da Deadpool wegen seiner Jugendfreigabe kein massentaugliches Kassenpotenzial für die Sommer- oder Winterferien besitzt.
»Es hat noch nie so eine Figur wie Deadpool gegeben – und Ryan Reynolds spielt ihn, als wäre er dafür geboren«, schwärmt Schöpfer Stan Lee, der nicht nur Ryan Reynolds‚ größter Fan ist, sondern auch, wie auch schon in allen Marvel-Filmen zuvor, selbst einen Gastauftritt hat – diesmal als Nachtclub-DJ. »Genauso wie Robert Downey jr. prädestiniert war, Iron Man zu verkörpern, kann man sich niemanden anderen als Ryan vorstellen, um Deadpool zu spielen.«
Regisseur Tim Miller, der hier sein Langfilmdebüt gibt, hat die narrative Struktur der „Deadpool“-Comics für seine Leinwandversion aufgebrochen und springt verwegen in der Zeit vor und zurück. Der Film ist zu keinem Zeitpunkt vorhersehbar, dennoch ist er für jedermann verständlich – auch wenn man den „Söldner mit Schnauze“ überhaupt nicht kennt.
Die Figur ist wohl auch wegen ihres verqueren Sinns für Humor so zugänglich. »Das zieht einen magisch an«, erläutert Hauptdarsteller Ryan Reynolds. »Deadpool besitzt einen optimistischen Blick. Er denkt positiv, obwohl sein Leben doch recht beschissen ist. Man muss sich dazu nur Folgendes überlegen: Das Experiment, das ihn mit Superkräften versehen hat, hat ihn gleichzeitig fürchterlich entstellt. Obendrein bleibt ihm die Liebe versagt und er ist gelinde gesagt etwas verrückt.«
Interessanterweise besitzt auch der Regisseur gewisse Charakterzüge von Deadpool. »Tim erinnert mit seiner bissigen Art ein wenig an Wade Wilson«, sagt er weiter. »Er spricht und bewegt sich sogar zeitweise wie er. Ich glaube, dass dies Tim sehr geholfen hat, die Figur zu begreifen. Er hat es verstanden, die Mega-Action und diesen durchgeknallten, manchmal gar pathetischen Witz perfekt auszubalancieren. Dies entspricht ganz der Persona von Wade Wilson, der im Kern ein tragischer Charakter ist.«
»Sorry, ich hatte einen Albtraum. Ich hatte einen Liam-Neeson-Traum. Ich hatte seine Tochter entführt und er hatte etwas dagegen.«
Wade Wilson
Tim Miller siedelt seine Geschichte möglichst nahe an der Realität an und das hat zur Folge, dass man für alle Protagonisten viel Empathie aufbringt. Diesbezüglich ist besonders die Liebesgeschichte zwischen Wade und Vanessa interessant, die sich zueinander hingezogen fühlen – und zwar gerade wegen ihrer Fehler. Vanessa hat eine schwere Kindheit hinter sich und lebt ein Leben voller Kummer. Als Wade sie kennenlernt, arbeitet Vanessa als Prostituierte. Gemeinsam machen sich die beiden auf, bessere Menschen zu werden.
»Wir wollten Vanessa als selbstbestimmte Frau zeigen, die nicht auf männliche Hilfe angewiesen ist. Wenn sie in Schwierigkeiten gerät, tut sie alles, um sich selbst aus ihrer misslichen Lage zu befreien – notfalls auch handgreiflich«, erklärt Ryan Reynolds, der den Film mitproduziert hat. »Morena Baccarin hat Vanessa sofort voll verstanden.«
Für die bezaubernde Schauspielerin, die nach ihrem Gastspiel in der Serie Homeland und der Agentenkomödie Spy – Susan Cooper undercover wieder zum SciFi-Fantasy-Genre zurückkehrt, ist es weniger ein Thema, für Marvel als auch DC Comics zu agieren, als für das Fandom. In Deadpool kann sie nun ihre bislang gesammelten Erfahrungen kombinieren:
»Vanessa ist ganz anders als jede Figur, die ich bisher gespielt habe. Sie ist eine tolle Kombination aus klug, sexy, cool und hart. Sie ist ein Typ ganz nach dem Geschmack der Männer – und gleichzeitig auch eine tolle Frau. Sie ist eine Kämpferin und es ist unglaublich erfrischend, dass man es hier in einem Superheldenfilm mit einer Frau zu tun bekommt, die genauso taff ist wie die Männer um sie herum. Sie hat etwas zu sagen und obendrein, wie man so schön sagt, auch Eier.«
»Ich will nicht, dass der Superheldenanzug grün ist. Oder animiert!«
Wade Wilson
Als plötzlich die Superhelden Colossus und dessen Schützling Negasonic Teenage Warhead als Moralapostel auftreten, um Deadpool zu stoppen, als dieser gerade dabei ist, seine Nemesis Ajax zu töten, ist dem Zuschauenden noch nicht klar, woher die beiden kommen. Erst als Deadpool später an der Tür von Xaviers Mutantenschule klingelt, wird einem klar, in welchem Universum wir uns befinden. Und kommt…der Witz sitzt!
Ajax ist der Mann, der für Deadpools Transformation verantwortlich ist. »Er ist der Chef der WeaponX-Abteilung und ein sadistischer Bastard«, erzählt Tim Miller. Ajax genießt es, Wade während dessen Verwandlung in Deadpool zu foltern und diesen im Verlauf des Prozesses mit einem narbenübersäten Gesicht zu versehen.
Ajax, der eigentlich Francis heißt (was Deadpool natürlich Anlass für jede Menge böser Witze gibt), hat dasselbe Programm durchlaufen wie Wade. Der mächtige Bösewicht verfügt über enorme Agilität und Stärke, ist schmerzunempfindlich und besitzt zudem keine menschlichen Regungen. Ajax kennt weder Sympathie noch Empathie und hat auch kein Problem damit, jemanden zu Tode zu foltern.
Ajax wird von dem passend blass agierenden Ed Skrein gespielt, der unlängst die Transporter-Reihe neu gestartet hat. Dessen willfährige Helferin, die für ihn gerne die Muskeln spielen lässt, ist Angel Dust, eine stattliche Schönheit, die über enorme physische Kräfte verfügt. Sie übernimmt alle Arbeiten, die Ajax meidet – und genießt dabei jede Minute.
»Angel Dust pumpt sich mit Adrenalin voll, um ihre Superkräfte abzurufen«, erläutert Gina Carano, vormals ein Mixed-Martial-Arts-Champion und bekannt für ihre wahnsinnigen Kampfszenen in Haywire und Fast & furious 6. »Sie ist wie ein Rennpferd, dem man die Zügel freigibt. Diese hält Ajax fest in der Hand, und Angel Dust bittet ihn: „Oh, ich bin bereit. Bitte lass mich laufen.“«
»Nach ein paar Drinks könnte ich mich auch auf dieses Gesicht setzen.«
Vanessa Carlysle
Das sind genau die Worte, die Wade von seiner Freundin hören will, als er sich ihr schließlich offenbart. Doch bis dahin ist es ein langer Weg. Und um mit dieser „Gesichtspizza“ irgendwo unbehelligt unterzukommen, brauch es schon eine besondere Person. Wenn Deadpool die Füße hochlegen will, begibt er sich in seine Wohnung, die er sich mit Blind Al, einer blinden Seniorin, die er via Craigslist gefunden hat, teilt. Die Sängerin und Schauspielerin Leslie Uggams ist in dem Part zu sehen. »Al ist unabhängig, frech, sarkastisch und kein Weichei. Sie kann ebenso gut austeilen wie einstecken«, sagt sie.
Sie sind sehr ungewöhnliche Zimmergenossen, aber sie werden bald Freunde. Ihre Beziehung beruht auf Gegenseitigkeit. »Wade bringt das Geld nach Hause und Al sorgt dafür, dass die Wohnung halbwegs aufgeräumt ist«, führt die Schauspielerin aus. »Weil sie blind ist, kann sie Deadpools Entstellungen nicht sehen. Das macht Al zu einer angenehmen Kameradin für Deadpool – und dennoch tut er den Teufel, irgendwie auf Als Handicaps Rücksicht zu nehmen.«
Tim Miller mag die einzigartigen Elemente, die diesen Film ausmachen, sehr. »Deadpool ist schlichtweg die größte Geschichte aller Zeiten – mit Knarren und Schwertern«, witzelt er. »Zudem ist der Film sich seiner selbst sehr bewusst. Deadpool weiß, dass er eine Comicfigur ist, und auch, dass er in einem Film auftritt. Immer wieder bricht er aus seiner Rolle aus und spricht das Publikum direkt an. Manchmal ist er dabei gemein zu den Zuschauern – aber sie verdienen es! Ich sehe ihn gerne als regenerierenden degenerierten Menschen.«
Ebenso bricht die Figur übrigens auch aus dem Computerspiel aus und spricht mit den Entwicklern, als er plötzlich in ein 8-Bit-Level versetzt wird. Gamer wissen, wovon ich rede. Diese werden auch nicht die Brutalität missen, wenn sie sich den Film ansehen. Alles ist natürlich vollends gewaltverherrlichend „cool“ dargestellt und ebenso „ungeschnitten“. „Ungeschnitten“ in Anführungszeichen, denn Deadpool schwingt natürlich auch hier seine Markenzeichen – seine berühmten Katanas.
In einem der vielen denkwürdigen Zweikämpfe stehen sich der „Söldner mit Schnauze“ und Ajax gegenüber. »Wir haben für diese Auseinandersetzung einen ganz eigenen Stil entwickelt«, erklärt Stuntkoordinator Philip Silvera. »Es ist nicht dieser klassische japanische Schwertkampf, sondern eher ein Mix aus japanischen und chinesischen Stilen. Es geht um Taktik, ein wenig wie bei der philippinischen Martial-Arts-Variante Kali. Deadpool geht dabei sehr kontrolliert vor und versucht stets, todbringende Stellen zu treffen.«
Ein anderer Schlüsselkampf unter den Mutanten findet zwischen Colossus und Angel Dust statt. Dies ist wahrlich eine Schlacht der Titanen, obwohl einer der Beteiligten erst Monate nach den Dreharbeiten als computergenerierte Figur geschaffen wurde. In den „X-Men“-Comics ist Colossus weit über zwei Meter groß und extrem stark. »Ich wollte also eine wahrlich überlebensgroße Figur«, sagt Tim Miller, »und das war so nur am Computer zu realisieren.«
Diesem Monsterkampf fieberte Gina Carano entgegen. Sie freute sich darauf, sich mit einer am Computer geschaffenen Figur zu messen. »Ich habe noch nie gegen eine animierte Figur gekämpft. Zudem waren alle meine bisherigen Gegner etwa so groß wie ich oder nur ein klein wenig größer«, erzählt sie. »Alle meine Bewegungen mussten also richtig groß und stark wirken, sonst würde das Publikum nicht glauben, dass ich als Angel Dust überhaupt die Kraft besitze, Colossus zu fordern.«
»Wie…ihr seid immernoch da?«
Deadpool
Man muss jetzt nicht unbedingt die „X-Men“ kennen, um bei diesem Film Spaß zu haben, wäre aber hilfreich, um all die entsprechenden Witze zu verstehen. Eigentlich müsste man den Film mehr als einmal sehen, um all die popkulturellen Anspielungen mitzubekommen. Deadpool labert viel und vor allem mit Reverenzen – ob Der Frühstücksclub oder Ferris macht blau, ob Wham! oder Chicago, ob Star Wars oder 127 Hours…
Sprüchetechnisch ist Deadpool kaum noch zu übertreffen. Und was anfangs noch wie eine überdrehte Superheldenversion von Caddyshack mit Chevy Chase als lässiger Einlocher und Rodney Dangerfield als sprücheklopfende Stimmungskanone wirkt, setzt sich im Laufe des Films immer mehr zu einer tiefgründigeren Figur zusammen, der man am Ende dann doch einen Ansatz von Sym- und Empathie zusprechen kann.
Und wer ebenfalls dem Tode nahe ist und Superkräfte haben will, der möge sich an folgende Nummer wenden: 555-0199. Wenn dann eine Gruselonkel-Version von Sheldon Cooper auftaucht, ist man an der richtigen Stelle. Schade nur, dass es dieser Vergleich nur bedingt in den Film geschafft hat. Auf jeden Fall fühlt man sich hinterher wie ein kleiner Junge, der mit seinen Freunden die zahlreichen Gags des gesehenen Films reüssiert.
PS: Wie Deadpool zu seinem Namen kommt, wird ebenfalls erklärt. Barmann Weasel führt nämlich so einen – übersetzt heißt das etwa Todesfond. An einer Wandtafel stehen die Wetten, wer von den Auftragsmördern denn als erstes/nächstes ins Gras beißt bzw. die meisten Tötungen vorweisen kann.