Chanti is bäck – im wahrscheinlich geilsten Märchen ever! Chantal, ewige Influencerin ohne Follower, und ihre beste Freundin Zeynep geraten durch einen antiken Zauberspiegel, den sie für ein Social-Media-Gimmick halten, in die Märchenwelt – ganz zur Freude Chantals, denn als Prinzessin kann man doch vermutlich den besten Content generieren!
Dummerweise ist es nicht irgendein Märchen, in das sie hineingerät, sondern ausgerechnet „Dornröschen“. Kleine Warnung an alle Prinzen: Wachküssen nur auf eigene Gefahr! Während Chantal den Weg zurück nach Hause sucht, stellt sie fest, dass im Reich der Drachen, Feen und anderer Märchenfiguren vieles anders läuft, als wir es aus den Geschichten der Gebrüder Grimm kennen!
Prinzessin Amalia träumt so gar nicht davon, verheiratet zu werden, der sensible Prinz Bosco leidet unter Identitätsproblemen, Aladin hat noch nie etwas von einem fliegenden Teppich gehört und Hexen erfüllen alles andere als die Klischees…
»Die sind so hässlich, da braucht man Triggerwarnung.«
Chantal Ackermann
Wer hätte das gedacht, dass die Figuren aus Fack ju Göhte noch einmal auf die Leinwand kommen? Und dann noch in einem Märchenfilm?! Bora Dagtekin, der Schöpfer der Filmreihe, dachte schon länger über einen Ableger mit Problemschülerin Chantal Ackermann als Hauptfigur nach.
»Wir haben immer gemerkt, dass die Leute noch Bock auf die Figur Chantal haben«, erzählt er. »Viele junge Leute sprechen Jella darauf an, wir kriegen viel Post mit dem Wunsch, dass sie weitere Filme mit Chantal sehen wollen. Dass ein Charakter so lustig und edgy ist und so viele Menschen erreicht, ist ein Geschenk.«
Der Regisseur und Autor träumte vom großen Kinoabenteuer einer Prinzessin, »die mit den Märchenklischees aufräumt und deren Geschichte dem Publikum eine neue Sicht auf die bekannten Märchen liefert – eine „Bad Princess“, wie man sie sich als Kind und vermutlich vor allem als Mädchen auch schon in Grimms Märchen gewünscht hätte, die sich nimmt, was sie will, die wild und cool drauf ist, eine große Schnauze hat und keinen Prinzen braucht, um klarzukommen.«
Jella Haase wertet Chantal als einen wichtigen Teil ihrer Karriere: »Ich wundere mich, wenn an mich herangetragen wird, dass ich mich nach Fack ju Göhte von der Rolle der Chantal emanzipiert hätte. In meinen Augen gab es nie einen Grund, mich von dieser Rolle zu distanzieren. Ich habe sie immer gemocht und nie verraten. Chantal ist in meiner DNA, sie gehört zu meiner Identität. Ich bin glücklich, dass diese Figur so viele Menschen glücklich macht. Ich bin mit ihr gewachsen und vielleicht auch in den Umgang mit ihr reingewachsen.«
Und das transferiert sie großartig auf ihre Chantal, denn auch sie wächst im Laufe der Geschichte, ja bekommt am Ende sogar ernsthaftere Züge. Es gibt da eine Szene, in der sie die Bilder der Prinzessin sieht, auf denen sie stets etwas grimmig guckt und Chantal sagt: „Ey, da seh ich ja aus wie die Merkel!“ – Und da gebe ich ihr völlig Recht! Meiner Meinung nach wäre Jella Haase irgendwann in der Zukunft die ideale Besetzung für ein Angela-Merkel-Biopic!
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Chantal muss das große Abenteuer im Märchenland aber nicht allein bestehen. Auch ihre beste Freundin Zeynep verschlägt es in diese fremde Welt. Schauspielerin Gizem Emre freute sich, ihre Rolle aus der Trilogie weitererzählen zu können: »Zeynep und Chantal verbindet eine sehr loyale Freundschaft. Chantal hält Zeynep aber von der Planung ihres Berufslebens ab, weil sie nicht allein erfolglos und arbeitslos sein will. Dagegen möchte Zeynep raus aus dem Trott und ihre Eltern stolz machen. Als beide dann in einen Märchenspiegel gezogen werden, kommen Chantal und Zeynep in eine Welt, von der sie vorher nicht mal geträumt haben.«
Auch für einen deutschen Film ist die Märchenwelt überdurchschnittlich inszeniert worden. Und wenn man an Märchenwelt denkt, kommen einem sofort die tschechischen Co-Produktionen der Vergangenheit in den Sinn. Und tatsächlich wurde neben der Schlossanlage Schleißheim und den neuen Penzing Studios bei München in den traditionellen Barrandov Studios in Prag gedreht! Produzentin Lena Schömann lobt die Professionalität der tschechischen Kulissenbauer: »Es ist enorm, mit welchem Anspruch und in welcher Qualität dort gearbeitet wird. Es ist ein Geschenk, in Barrandov drehen zu dürfen.«
Auf dem ehemaligen Militärflugplatz Penzing entsteht seit 2022 eines der modernsten deutschen Filmstudios. In den ausgedienten Flugzeughangars fand Szenenbildner Christoph Kanter reichlich Platz für märchenhafte Bauten, während er in den angrenzenden Straßenzügen, in denen einst Soldaten lebten und arbeiteten, auch die richtigen Gebäude für die Einstiegsszenen fand, die noch in der realen Welt spielen – so etwa die Sozialwohnung, in der Chantal mit ihrer Mutter und jüngeren Schwester lebt, oder die Kinderarche, in der Chantal und Zeynep ihre Zeit totschlagen, weil es dort kostenloses W-LAN gibt.
Nach dem Prolog in der realen Alltagswelt kommt der Film schnell in Fahrt: Ein alter Spiegel, der aus einem aufgelösten Haushalt stammt und auf dem Flohmarkt der Kinderarche verkauft werden soll, erweist sich als magisches Portal. Durch ihn geraten Chantal und Zeynep in die Märchenwelt und finden sich unverhofft in einem prunkvollen Schloss wieder. Die ersten Erkundungstouren der beiden Besucherinnen filmten Bora Dagtekin und Kameramann Christian Rein in den Fluren und Festsälen des Neuen Schlosses Schleißheim.
»Es ist toll, in einem der größten und schönsten Schlösser Bayerns drehen zu dürfen«, sagt Produzentin Lena Schömann, die Bora Dagtekins Filme mitproduziert. Szenenbildner Christoph Kanter listet die Vor und Nachteile eines derart historischen Drehortes auf: »Der Vorteil ist, dass es aussieht, wie es aussieht, ohne dass wir etwas bauen müssen. Der Nachteil ist, dass man die Wände nicht berühren darf, keine Flüssigkeiten reintragen darf und keine Kerzen anzünden darf, weil die Gemälde verrußt werden könnten.«
Einfachere Bedingungen herrschten dagegen in den nachgebauten Schlosszimmern und weiteren Kulissen in den Filmstudios. In Penzing kam auch die dortige „Hyper Bowl“ zum Einsatz. Das ist ein virtuelles 360-Grad-Studio, in dem mit Hilfe einer 550m² großen LED-Fläche dreidimensionale Räume täuschend echt nachgebildet werden können. In diesem Fall mussten Christoph Kanter und sein Team im Vordergrund noch beeindruckende Kulissenbauten, die durch die digitale Welt im Hintergrund erweitert und ergänzt wurden, platzieren und die Täuschung war perfekt.
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»Die Kulissen in diesem Film sind märchenhaft«, sagt Jella Haase. »Man wird direkt in eine andere Welt katapultiert. Wenn man in so einem Setting steht und solche Kostüme trägt, muss man gar nicht mehr viel machen. Ich wünsche mir, dass bei diesem Projekt die Leistung aller Gewerke gewürdigt wird: Kostümbild, Szenenbild, Drehbuch, Regie und schauspielerische Leistungen das alles ist zum Niederknien. Da merkt man wieder, was alles nötig ist, um einen Film zu drehen und eine Geschichte zu erzählen. Das ist eine tolle Teamleistung von ganz vielen klugen und liebenswerten Menschen.«
Während der märchenhaft schöne Zauberwald oder der stark überlaufene Marktplatz samt Scheiterhaufen so authentisch wirken, dass sie in jedem Historienepos als Kulisse dienen könnten, ist Chantals Schloss ein reines Fantasieprodukt aus vielen verschiedenen Bausteinen: »Das Schloss, das wir im Film sehen, hat barocke Innenräume, aber gotische Burgmauern und einen märchenhaften Dornröschen-Turm«, sagt Christoph Kanter. »So einen architektonischen Stilmix gibt es nirgendwo auf einem Haufen. Ein Schloss wie in Schleißheim steht halt nicht auf einer Bergspitze, sondern in einem Park.«
Damit die völlig verschiedenen Elemente am Ende trotzdem harmonisch ineinanderfließen, verwendete Christoph Kanter einen Trick: »Die goldene Farbe, auf die wir uns geeinigt haben, ist der Klebstoff für alles, was normalerweise nicht zusammengehört.« So ließ er in Barrandov die vorhandenen Burgmauern mit Goldfarbe besprühen und verwendete diesen Goldton auch für die selbstgebauten Kulissen, während schließlich auch die Kunstschaffenden für Computereffekte die Gesamtansicht eines goldenen Märchenschlosses programmierten.
Aber es gibt in diesem Film nicht nur die opulenten Gewänder, die Kostümbildnerin Esther Walz und ihr bis zu 60-köpfiges Team „zauberten“. Die opulenten Gewänder des Königs Wilderich wurden aus Stoffen genäht, die ein älteres Ehepaar aus London traditionell nach Mustern weben lässt, die auf historischen Gemälden zu sehen sind. Die Königskrone wurde in Polen geschmiedet, echt vergoldet, von Goldschmieden in München verfeinert und mit echten Edelsteinen besetzt.
»Der Aufwand lohnt sich, denn es irritiert sehr, wenn in Großaufnahmen sichtbar wird, dass eine Krone nur mit künstlichen Glassteinen verziert wurde«, sagt Esther Walz, die auch schon für Sönke Wortmanns Geschichtsepos Die Päpstin eine massive Papstkrone mit echten Edelsteinen herstellen ließ. »Die Krone war ziemlich schwer, ungefähr zwei Kilogramm«, sagt Cooper Dillon, der die Last auf seinem Kopf trug, »so wie der König auch die ganze Last der Verantwortung für sein Volk tragen muss.«
Die Szenen im Zauberwald wurden in Tschechien gedreht, das Innere des Hexenhauses bauten Christoph Kanter und sein Team in den Penzing Studios. »Die Kulissen waren unglaublich«, sagt Nora Tschirner. »Bei anderen Produktionen wird eine kleine Ecke ins Studio gebaut und den Rest muss man sich vorstellen. Aber hier kam man in riesige Bauten und fühlte sich sofort wie in der Märchenwelt.«
Nora Tschirner schwärmt auch von den Kostümen, wenn auch mit einer leichten Einschränkung: »Wir trugen Korsagen. Es ist ein bisschen traurig, dass es der Feminismus ausgerechnet in die Kostümabteilung nicht geschafft hat. Das Schlimmste war, dass wir wahnsinnig viele süße Hunde am Set hatten und ich mich nicht mal zu ihnen runterbeugen durfte, geschweige denn es geschafft hätte. Hinsichtlich der Kleider bin ich dann doch froh, dass ich in der heutigen Zeit lebe.«
Aber auch ein fliegender Teppich, riesige Drachen, schwebende Requisiten, digital erweiterte Landschaften und schwerelos durch die Luft wirbelnde Märchenfiguren beschäftigten zehn verschiedene VFX-Firmen gleichzeitig und über Monate. »Wir haben ungefähr 700 Effekt-Shots im Film«, sagt Produzentin Lena Schömann, »und die brauchen wir auch, denn wir wollen mit den „Harry Potters“ dieser Welt mithalten und ein Kino-Entertainment liefern, was den Hollywood-Werken in nichts nachsteht.«
In der Summe ergibt sich aus diesen Elementen »das geilste Märchen ever«, und Bora Dagtekin hat dabei viel gelernt: »Ich habe größten Respekt vor allen Kolleginnen und Kollegen, die regelmäßig mit so vielen VFXen arbeiten und die vor allem Fantasywelten erschaffen. Es ist eine besondere Herausforderung, und ich bin dankbar, dass die VFX-Crew und die zahlreichen Firmen, die die Effekte gebaut und mit uns erschaffen haben, unser Timing möglich gemacht haben. Ich würde sagen, dass nach diesem großen Abenteuer das zeitgenössische Erzählen zwar ein bisschen langweiliger wirkt, dass ich aber den Luxus schätze, die Kamera einfach nach links drehen zu können, ohne dass ich mich erschrecken muss, weil da gar keine Schlossmauer mehr steht.«
Echte Schlossmauern fand Bora Dagtekin allerdings auch in Tschechien. So entstanden zum Beispiel Außenaufnahmen in einem prächtigen Schlossgarten bei Prag, während der große Festball in Karlovy Vary inszeniert wurde. Das Grandhotel Pupp diente schon als Hotel Splendide in Daniel Craigs erstem James-Bond-Abenteuer Casino Royale und ließ nun auch den deutsch-tschechischen Filmstab zwischen den schmucken Wänden arbeiten.
»In diesem Luxushotel wird pausenlos gedreht und der Festsaal ist nicht ganz so historisch wie die bayerischen Schlösser«, sagt Szenenbildner Christoph Kanter. »Deshalb ist das Hotelmanagement auch schmerzfreier als der gemeine Schlossbesitzer in Deutschland.«
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Bora Dagtekin meint, dass es höchste Zeit ist, in der reaktionären Märchenwelt aufzuräumen: »Damit meine ich nicht, dass man die Geschichten nicht respektieren soll. Aber Märchen waren früher vor allem dafür gedacht, moralische Wegweiser zu sein, beim Erziehen zu helfen. Sie sollten Menschen und vor allem jungen Menschen elegant einimpfen, was Tugenden sind und wonach es sich zu Streben lohnt.« Nach mehreren Jahrhunderten kann ein moralisches „Upgrade“ nicht schaden:
»Wir sind inzwischen an einem Punkt, an dem wir ein bisschen nachjustieren können. Vielleicht sieht das nicht jeder so, denn nicht jeder ist betroffen. Aber Frauen oder auch Männer, die vielleicht ein bisschen feministischer denken, können den alten Kram ja nicht wirklich ihren Kindern vorlesen, ohne nach zwei Sätzen das Buch wegzulegen, weil die Prinzessin etwas sagt, dass ein bisschen Panne ist. In dem Bereich wollte ich gern ein wenig nachrüsten und den Märchen etwas geben, was auch im Jahr 2024 als wegweisend gilt. Wer immer sich verloren fühlt, der seinen Platz nicht findet oder vielleicht nicht an sich glaubt (also jeder Mensch an einem bestimmten Punkt in seinem Leben), der sollte im Märchen doch Trost und Mut finden.«
Dabei wirkt die Geschichte nie zu klamaukhaft, die Figuren nie zu tumb. Jede Figur bringt ihren Beitrag zur Handlung ein, die allein schon eine Meisterleistung ist, die verschiedenen Märchen und Erzählungen so zu verweben, dass sie schließlich zu einem plausiblen Ende führen! Aber dennoch bleibt der Film der Hauptfigur treu, denn der Sprachschatz bleibt im jugendlichen Sprech sehr vulgär – und im Zuge von zahlreichen Anglizismen mit zusätzlichen Akzenten oft rein akustisch nicht zu verstehen. Aber auch aus diesem Grund wirkt der Film einmalig.
Der Regisseur und Autor hält es für überfällig, dass in Märchenfilmen zeitgemäß gesprochen wird: »Warum soll eine Prinzessin nicht „Fuck you“ sagen dürfen? Oder Scheiße bauen? Oder der Märchenwelt den Mittelfinger zeigen? Oder die Sprache der Jugend sprechen? Das Tolle an Deutschland ist, dass wir mutiger und lauter sein können und weniger Schiss haben müssen als ein US-Konzern. Märchen sind ein deutsches Kulturgut. Die Emanzipation des Märchens, die niemand aufhalten kann, wollte ich nicht Disney überlassen.«
»Wenn eine Komödie in erster Linie unterhält und Spaß macht, aber auf zweiter Ebene relevante Themen verhandelt oder zum Denken und Diskutieren anregt, freut mich das sehr«, sagt Bora Dagtekin. »Es gibt wichtige Botschaften in dem Film, aber sie passieren nebenbei und sie werden nicht mit dem Zeigefinger erzählt. Aber jedes Mädchen wird aus dem Film gehen und sich denken: Geile Sache, ich scheiß auf Prinzen, ich kann mein Abenteuer auch so zum Happy-End bringen. Und wenn sie Bock hat, kann sie den Prinzen ja danach immernoch anrufen.«
Auch für das konservative Lager hält er eine gute Nachricht bereit: »Alle, die den alten Märchen hinterhertrauern und kein goldenes Steinchen verrücken wollten, können sich freuen, denn es ist ja immerhin noch ein deutscher Film! Und nicht alle Frauen tragen Hosen. Einige tragen Rüstung.«
Aber auch wer die Fack ju Göhte-Filme nicht mochte, kann sich diesen Filmspaß antun! Man muss sie nicht gesehen haben, aber es hilft schon, die Hintergründe der Figuren besser zu verstehen. Es ist demzufolge ein unerwartet lustiger Film, bei dem man in Gefahr gerät, das Popcorn lachend auszuprusten. Ich finde: Chantal im Märchenland ist quasi Der Schuh des Manitu der 20er Jahre. Und auch selbiger hatte eine etwas behäbigere Vorgeschichte…