Donnerstag, 18. April 2024
The last Duel
Jacques LeGris und Jean de Carrouges
📷 Patrick Redmond - © 20th Century Studios
Mit dem Namen Ridley Scott verbinden Filmfans automatisch Filme wie Blade Runner und Alien. Aber der Regisseur, Produzent und Drehbuchautor kann auch Krimis wie Black Rain oder Thelma & Louise und epische Kostümfilme wie Gladiator, Königreich der Himmel oder Robin Hood. Jetzt hat er sich einer Mischung aus Liebesgeschichte, Krimi und Schlachtenepos gewidmet, die auf dem Buch „The last Duel – A true Story of Crime, Scandal and Trial by Combat in medieval France” von Eric Jager basiert, in dem auf der Grundlage historischer Quellen die frappierende Geschichte eines legendären Duells auf Leben und Tod erzählt wird.
Knights…proceed!
Mit packenden Details lässt er in seinem Buch anhand des letzten, offiziell dokumentierten gerichtlichen Zweikampfs seiner Art das turbulente Mittelalter wieder auferstehen. In einer Zeit, in der Etikette, soziale Bestrebungen und Recht dem ritterlichen Ehrenkodex unterlagen, konnte die Herausforderung der Institutionen (der Kirche, des Adels bei Hofe, eines jungen Königs) schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen. Und für eine Frau, die in jener gewalttätigen Epoche ohne die Unterstützung ihres Ehemannes keinerlei legale Rechte besaß, war der Einsatz umso gefährlicher.
Das Buch besticht durch seine unglaublich detaillierten Beschreibungen des legendären Zweikampfs und der vorausgegangenen Ereignisse, und es erregte auch die Aufmerksamkeit von Matt Damon. Er erkannte sofort das filmische Potential des Stoffs und brachte Ridley Scott, der ihn 2015 in Der Marsianer inszeniert hatte, dazu, das Projekt zu übernehmen. Außerdem wandte er sich an seinen besten Kumpel und Mit-Drehbuchautoren Ben Affleck.
»Uns war klar, dass es um eine unglaubliche Geschichte ging. Die Frage war nun, wie wir sie so erzählen konnten, dass sie wirklich interessant wurde«, sagt Matt Damon. »Und da kamen wir auf die Idee mit den Perspektiven, einer Art Lockvogeltaktik: Zwei Drittel des Films handeln von den beiden Männern, bis man schließlich merkt, dass tatsächlich die Frau die wahre Heldin der ganzen Geschichte ist.«
Da sich die Geschichte um zwei Männer und eine Frau dreht, holten die Beiden schließlich noch Nicole Holofcener ins Boot. »Der Grund, warum ich dazu stieß, war, dass Matt und Ben keine Frauen sind«, sagt die Autorenfilmerin. »Nicht, dass sie nicht großartige Frauenfiguren entwerfen könnten (viele Männer können das), aber ich glaube, eines konnte nur ich beisteuern: meine Perspektive als Frau, einen anderen Blick, und eine andere Stimme.«
Männer wie Jean de Carrouges und Jacques le Gris waren die Helden ihrer eigenen Geschichten – aber unzuverlässige Geschichtenerzähler. Marguerites Perspektive ist also ein wesentlicher Bestandteil, sie liefert die dringend nötige Korrektur der bisher unwidersprochenen männlichen Sichtweise auf sich selbst und der Interpretation der Welt um sie herum.
»Diese Leute wurde mitten im Hundertjährigen Krieg geboren. Sie kannten nichts anderes als dieses von unglaublicher Gewalt geprägte Leben. Dazu gehörten buchstäblich Vergewaltigungen und Plünderungen, die (bis zum heutigen Tag) Kriegswaffen sind. Aber das war nun mal die Welt, in der sie lebten«, erzählt Matt Damon.
»Es ging unglaublich gewalttätig zu, und beim Lesen des Buches hatte ich das Gefühl, dass die einzige Geschichte, die es wert war, erzählt zu werden, ihre war – ihre unglaubliche Tapferkeit angesichts dieses schrecklichen Drucks, der Art des Verhörs, die Art, in der sie gedemütigt wurde, und dennoch nie nachzugeben, und in dieser entsetzlichen Kultur über das, was ihr angetan wurde, die Wahrheit zu sagen.«
Der Angriff ist für Marguerite de Carrouges auf mehreren Ebenen traumatisierend. »Nach ihrer Vergewaltigung ist Marguerites Welt für immer eine andere«, erzählt Nicole Holofcener. »Sie wurde brutal misshandelt. Der Überfall war geradezu der Gipfelpunkt in einem Frauenleben in jener Zeit, denn sie hatte keine Rechte, keine Kontrolle, keine Macht, und sie wurde wie ein Stück Fleisch behandelt, sogar von ihrem Ehemann. Diese Vergewaltigung brachte also das Fass zum Überlaufen. Ich glaube, dass es ihr an diesem Punkt egal war, was passieren würde, wenn sie die Wahrheit sagt. Sie wusste, dass er sie nur für das Aussprechen umbringen konnte und sie wusste, dass es enden würde, wie es eben enden würde, ohne dass sie es beeinflussen konnte.«
The truth does not matter.
Die Szene wurde von zwei Standpunkten aus gedreht, veranschaulicht das Verbrechen jedoch auf eindeutige Weise, und kommt dabei gänzlich ohne Nacktheit aus. Denn die Filmemacher wollten vor allem den emotionalen Tribut, den die Tat Marguerite abforderte, kenntlich machen, ohne sie dabei, durch ihre Entblößung, sexuell erneut auszubeuten. Ridley Scott drehte die Szenen in Echtzeit und in chronologischer Ordnung.
»Wir entdeckten, wie viele Aspekte dieses gesetzlich kodifizierten Patriarchats im Westeuropa des 14. Jahrhunderts in Spuren (und in einigen Fällen sogar fast unverändert) immer noch in der Gesellschaft von heute existieren«, ergänzt Ben Affleck. »Zudem wollten wir beleuchten, wie tief seit damals der Einfluss ist, den Institutionen, kulturelle Anpassung und soziale Normen darauf ausüben, wie Individuen die Realität wahrnehmen. Wir wollten darauf aufmerksam machen, dass diese Dinge sehr viel mit den oft sehr unterschiedlichen historischen Berichten aus jener Zeit zu tun haben. Und wir wollten diese unterschiedlichen Perspektiven dazu nutzen, gerade jene privaten Momente, die in der offiziellen Geschichtsschreibung ausgelassen wurden, auf dramatische Weise zur Geltung zu bringen.«
The last Duel (warum der Titel nicht eingedeutscht wurde, bleibt mir ein Rätsel) beginnt, wie es bei diversen TV-Serien oft üblich ist, mit dem Ende, ohne dabei den Ausgang des Duells vorwegzunehmen, um dann die Vorgeschichte zu erzählen. Ähnlich wie in der TV-Serie The Affair, wird die Handlung aus drei verschiedenen Perspektiven erzählt. Zunächst bekommt Matt Damons Figur Jean de Carrouges die Gelegenheit, dann Adam Drivers Jacques le Gris und schließlich das vermeintliche Opfer selbst, Marguerite – hervorragend gespielt von Jodie Comer, die man vor kurzem in Free Guy bewundern konnte.
Geteilt werden die Sichtweisen durch Kapiteleinblendungen – „Die Wahrheit gemäß…“, während bei Marguerites Kapitel „gemäß…“ ausgeblendet wird und man dadurch „Die Wahrheit“ vorgesetzt bekommt. Da es sich um eine wahre Begebenheit handelt, konnte man dramaturgisch nicht viel ändern, so wie eine vierte, wahre Sichtweise in etwa. Dass es bei allen drei Sichtweisen eine gemeinsame Schnittmenge geben muss, ist dabei klar. So erlebt man gespannt, an welcher Stelle sich die Sichtweisen unterscheiden – ähnlich wie bei Tageswiederholfilmen wie Groundhog Day.
Das erforderte von den Schauspielern auch, ihre Darstellung zu ändern, sobald dieselbe Szene aus einer anderen Perspektive noch einmal gezeigt wurde. Sie mussten ihr Verhalten danach ausrichten, wie die jeweilige Filmfigur sie sehen würde. Jodie Comer erkärt: »Es ist ganz wichtig, dass in jeder Perspektive der Zuschauer wirklich demjenigen glaubt, aus dessen Sicht die Szene gezeigt wird – und das war tatsächlich eine ziemlich spannende Aufgabe. Es hatte auch eine leicht verwirrende Wirkung, weil wir manchmal am selben Tag alle drei Perspektiven drehten.«
Das einzige, was dabei außer Acht gelassen wurde, war, dass zwar die Sichtweise der Person aufgezeigt wird, jedoch nicht dessen Blickwinkel. Dadurch wirkt das Ganze ein wenig zu statisch. Immerhin hat Ridley Scott bei den Wiederholungen dann doch die Szenen ein wenig geschnitten, die sich nicht großartig verändert hatten. Manchmal kam es jedoch so vor, als hätte man verschiedene Aufnahmen verwendet. Das kann aber auch eine subjektive Beobachtung sein, weil die jeweilige Sichtweise so gut inszeniert wurde.
Heaven and Earth!
Apropos Aussehen: Was die Optik angeht, kann man nichts gegen den Film sagen. Die wunderschöne Region des Périgord Noir im Südwesten von Frankreich ist übrigens auch das Gebiet, in dem Ridley Scott seinen ersten Langspielfilm drehte, Die Duellisten (1976), der 400 Jahre später spielte und von einer etwas anderen Art von Duell handelte.
»Es gilt, die richtige Balance zwischen historischen und moderneren Details zu finden, und optisch muss alles vermieden werden, was neu aussieht«, sagt Produktionsdesigner Arthur Max. »Menschen sehen vor ihrem geistigen Auge die mittelalterliche Welt als eine Welt, in der alles alt aussieht, es gibt also alt, älter, am ältesten… und überhaupt nichts, das neu aussieht. Und wenn wir unseren Job gut machen, merken sie es auch nicht.«
Und so, wie sie das Mittelalter hier dargestellt haben, so stellt man sich es auch vor! Alles wirkt so authentisch – die Kostüme, die Worte, die Gegebenheiten, die kleinsten Details… Ridley Scott hat mit The last Duel eine dunkle Epoche unserer Vergangenheit gezeichnet, die auch größtenteils mit dunklen Bildern gezeichnet ist. Auch die Musik für ein großes Orchester und einen Chor, die erneut von Harry Gregson-Williams komponiert wurde, wirkt auf den Punkt genau und fällt nicht störend auf.
Die Filmmusik wurde mit Musikern und einer Reihe zeitgenössischer Instrumente wie Holzflöten, Hackbretter, Violen (Vorläufer der Violine, der Bratsche und des Cellos), dazu einer Domorgel und einer Laute in Los Angeles aufgenommen. Ein renommiertes Gesangsensemble, und Solisten runden den Klangteppich ab. »Ridley ist zuallererst ein Künstler, und ich weiß, dass er auch ein ziemlich guter Maler ist«, erzählt der Komponist, der mit dem Filmemacher eine großartige Arbeitsbeziehung pflegt.
»In unseren Gesprächen benutzt er etwa Begriffe und Vokabeln, die sich auf Malerei beziehen, sich aber genauso gut auf Musik anwenden lassen. Wenn wir, zum Beispiel, die allererste Szene des Films besprechen (eine sehr intensive Szene) dann hört er sich an, was ich komponiert habe und leitet mich zu dem hin, was seiner Meinung nach die Musik ausdrücken soll, etwa dass er einen dunkleren, schwereren Klang möchte – fast so als ob er sich auf die Farbpalette einer Leinwand bezieht.
He is no f…ing fun!
Alles in allem hat Ridley Scott ein großartiges Kostümdrama geschaffen, das die Magie des Mittelalters entzaubert (Hexerei, Zauberei und Magie sind per Dekret beim Duell verboten!) und es genau so darstellt, wie es gewesen sein musste. Und trotzdem hatten die Akteure auch ihre eigenen Markenzeichen einfließen lassen – so Ben Afflecks neckisches Lästern über Matt Damon (bestes Beispiel die Niederknieszene in Jean Carrouges’/Matt Damons Sichtweise) oder auch Adam Drivers ständiges Wedeln mit dem Gewand, das unweigerlich an dessen ikonische Rolle des Kylo Ren erinnert. Jodie Comer ist noch nicht so bekannt, konnte jedoch dadurch ihrer Figur die nötige Ernsthaftigkeit und Zerbrechlichkeit einhauchen.
Wer also 2½ Stunden übrig hat und mal wieder einen Kostümfilm, Burgen und Schlösser ohne Drachen (außer der Schwiegermutter) sehen möchte, dabei nichts gegen die Rauheit jener Epoche hat, der sollte sich den Film im Kino ansehen, denn nur dort wird man von den tollen Landschaften verzaubert (außer man reist nach Frankreich, was jedoch in Coronazeiten noch etwas beschwerlich sein dürfte). Und trotz der Länge wirkt der Film keine Sekunde langatmig oder langweilig, denn wenn man die Geschichte nicht kennt, rätselt man die ganze Zeit mit, was denn nun genau vorgefallen war und vor allem, wie das Duell ausgehen wird…

04.12.2022 | mz
Kategorien: Feature | Filme