Donnerstag, 2. Mai 2024
Civil War
Jessie (Cailee Spaeny) wird von Lee (Kirsten Dunst) gedeckt.
Sammy (Stephen McKinley Henderson)
Lee (Kirsten Dunst)
Sammy (Stephen McKinley Henderson), Lee (Kirsten Dunst), Jessie (Cailee Spaeny) und Joel (Wagner Moura) auf dem Weg zum Weißen Haus
Jessie (Cailee Spaeny)
Jessie (Cailee Spaeny) und Joel (Wagner Moura)
Unterwegs treffen sie auf einen getarnten Scharfschützen (Jin Ha).
Jessie (Cailee Spaeny)
Lee (Kirsten Dunst)
Lee (Kirsten Dunst)
Joel (Wagner Moura)
Joel (Wagner Moura)
Regisseur Alex Garland am Set
Karl Glusman, Jin Ha mit Regisseur Alex Garland am Set
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Eine Momentaufnahme einer einst undenkbaren Entwicklung: In Amerika herrscht Bürgerkrieg. Das Land ist über jede Vorstellung hinaus zerrüttet. Die Kriegsjournalisten Lee und Joel werden Zeugen von desaströsen Entwicklungen, denn ein brutaler Konflikt droht, ein gänzlich unvorbereitetes Land in Schutt und Asche zu legen.
Der Film spielt in naher Zukunft in einem Amerika, das sich in zahlreiche Gruppierungen aufgespalten hat, die sich nun in einem Bürgerkrieg gegenseitig bekämpfen. Die „Westlichen Streitkräfte“, ein bewaffnetes Bündnis von Staaten, die gegen die föderale Regierung rebellieren, werden das Kapitol in wenigen Tagen zur Kapitulation zwingen.
In der Hoffnung auf ein letztes Interview mit dem Präsidenten, reist die hartgesottene Kriegsfotografin Lee, die auf der ganzen Welt Gräueltaten und Destabilisierungsprozesse festgehalten hat, mit einer kleinen Truppe von Journalisten zum Weißen Haus.

»Watch out for the flying golfballs!«

Während sie quer durchs Land reisen, offenbart der Film, der in mancherlei Hinsicht ebenso sehr Unterwegs- wie Kriegsfilm ist, eine neue Realität, die sich auf zunehmend beunruhigendere Weise als genau das entpuppt, wovor Lee ihr Leben lang gewarnt hatte.
»Dieser Film wirkt auf mich wie eine Fabel – wie eine warnende Fabel, was geschieht, wenn Menschen nicht miteinander kommunizieren«, sagt Kirsten Dunst, »wenn niemand dem anderen zuhört, wenn man Journalisten zum Schweigen bringt, wenn wir eine gemeinsame Wahrheit verlieren.«
Der düstere Nervenkitzel und das Provozierende an Alex Garlands Film ergibt sich daraus, dass er die Bilder, Werkzeuge und Euphemismen der modernen Kriege („Luftschläge“, „zivile Ziele“, „Kollateralschaden“) auf amerikanischen Boden überträgt. Denn »so sieht Krieg heutzutage einfach aus, und das gilt für jeden Staat, der in einen Konflikt gerät, sei es in einen Bürgerkrieg oder in einen Krieg gegen den Nachbarn«, so der Filmemacher.
Ähnlich den gespenstisch leeren Straßen Londons in seinem Drehbuch für 28 Tage später, einem Zombiefilm, der das Genre neu definierte, werden vertraute, ikonenhafte Bilder von New Yorker Straßen bis hin zum Kapitol der Vereinigten Staaten durch die adrenalingeladene Action, die er dort stattfinden lässt, radikal in einen neuen Kontext gestellt. Die amerikanische Landschaft wirkt neben dem heftigen Ausbruch von Gewalt plötzlich surreal und zugleich erstaunlich real.
Die Gründe für den Bürgerkrieg bleiben vollständig der Interpretation überlassen. Civil War ist in vielerlei Hinsicht ein Rorschachtest für Amerika, die Zuschauer müssen sich selbst damit auseinandersetzen. »Jeder setzt für sich die Puzzlesteine zusammen«, sagt Cailee Spaeny, die vor kurzem noch als Priscilla Presley zu sehen war. »Man muss selbst ein inneres Gefühl dafür entwickeln, warum oder wie ein solcher Krieg ausbrechen könnte, und welche entstehenden Risse zu einem Krieg in Amerika führen.«
Aber was auch die Gründe sein mögen – der Konflikt an sich, das riesige Ausmaß des sich über alle Staaten ausbreitenden Krieges, das der Film darstellt, fühlt sich erstaunlich real an. Das ist keine Dystopie! Es ist eine eindringliche, lebhafte Darstellung dessen, wie Kriegsführung tatsächlich aussieht und klingt.
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»Kriegsfotografen müssen sich natürlich in eine Position bringen, in der sie sehen können, was geschieht. Andernfalls können sie das Foto nicht machen«, sagt Alex Garland. »Das erfordert eine besondere Art von Mut und Feinfühligkeit.«
Gleich zu Beginn des Films erleben wir Lees Abgebrühtheit, wenn nach einer Explosion das einzige Geräusch das Klicken ihres Fotoapparats ist. »Sie hat einfach schon alles gesehen«, sagt Kirsten Dunst. »Und das hat sie so mitgenommen, dass sie innerlich ein Stück weit abgestorben ist.«
Es ist eine persönliche Ehrenbekundung von Alex Garland, der als Sohn eines politischen Karikaturisten im Kontakt mit Journalisten aufwuchs. Seine beiden Hauptfiguren Lee und Jessie wurden nach zwei Kriegsfotografierenden benannt, die er bewundert: Lee Miller und Don McCullin.
Im Film ist Lee ungeheuer mutig und zugleich völlig erschöpft. Sie ist diejenige, die auch mal in die Schusslinie springt, wenn die Soldaten rennend Deckung suchen. Ihre Kraft ist in einen stahlharten Panzer gepackt, der sich über die Jahre gebildet hat. Für Jessie ist sie ein Idol, doch Lee wehrt sich zunächst dagegen, die Rolle der Mentorin zu übernehmen, weil sie in ihr eine jüngere Ausgabe von sich selbst sieht.
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»Es ist außerordentlich schwierig, einen Kriegsfilm zu drehen, der eigentlich gegen den Krieg ist«, sagt Alex Garland. Er wollte, dass Civil War ein entschiedener Antikriegsfilm wird, in dem die aufgeladene Spannung den Zuschauer an die Sesselkante rutschen lässt, der aber letztlich eher von blankem Entsetzen als von sensationsheischendem Nervenkitzel lebt.
Der Film lebt von seiner Inszenierung mit inhaltlich kontrastreichen Bildern – von Zerstörung, Tod und der wunderschönen Natur. Es ist schließlich nicht nur ein Kriegsfilm, sondern auch ein Film über eine Reise von 1380 Kilometern durch die USA. Und mit drei Generationen in einem Auto unterwegs kommen schon so einige Anekdoten und Konflikte zustande.
Im Prinzip wirken sie wie eine Familie – Lee und Joel sind wie Geschwister, Jessie die kleine Schwester, die sich reingemogelt hat, und Sammy, der weise Vater/Opa. Beziehungen gibt es auch hinter der Kamera. So haben Cailee Spaeny und Stephen McKinley Henderson bereits in Alex Garlands Serie Devs vor der Kamera gestanden. Auch Sonoya Mizuno, die hier eine Reporter-Kollegin spielt, spielte dort, wie auch in EX_MACHINA und Auslöschung mit.
Nach den oft aufwühlenden, aufreibenden Drehtagen konnte Cailee Spaeny auf die Behaglichkeit bei Kirsten Dunst und ihrer Familie zählen. »Sie kam zu uns, aß mit mir und den Kindern zu Abend oder wir gingen mit ihnen ins Restaurant oder Eis essen«, erinnert sich Kirsten Dunst. »Es wurde völlig normal, dass sie zu mir nach Hause kam, und das mochte sie.«
Ihre gemeinsame Zeit bei diesem Film veranlasste sie denn auch dazu, Cailee ihrer Freundin zu empfehlen, der Regisseurin Sofia Coppola, was letztlich zur Titelrolle in dem Film Priscilla führte. Zudem war es auch Kirsten Dunst, die ihren Ehemann, Jesse Plemons, mit dem sie seit der Serie Fargo liiert ist, mit ins Boot geholt hat.
Sein grandioser Kurzauftritt in einer der eindringlichsten Szenen des Films als Soldat, der ein Massengrab füllt, wirkte vor allem für Wagner Moura verstörend: »Für mich als Nicht-Amerikaner ist der Rassismus in dieser Szene unheimlich stark, ebenso wie der Hass. Und dass er so ein unglaubliches Naturtalent ist, machte die Sache noch schlimmer. Es ist sehr brutal, und es war sehr anstrengend, einen ganzen Tag lang diese Szene zu drehen.
Als der Tag zu Ende ging, nachdem ich wiederholt um mein Leben und das meiner Freunde gebettelt und gesehen hatte, wie in Jesses Spiel der Rassismus zutage getreten war, legte ich mich (das weiß ich noch) ins Gras und weinte. Nach der Szene weinte ich eine halbe Stunde lang. Das war sehr heftig.«
»Ich kann mir vorstellen, dass die Leute alles Mögliche in Jesse Plemons rote Sonnenbrille hineininterpretieren«, sagt Alex Garland. »Dabei war es einfach nur so, dass Jesse sagte: „Ich glaube, dieser Typ sollte irgendeine Art von Sonnenbrille tragen.“ Und er zog los und kaufte sechs Sonnenbrillen. Wir saßen da, als er sie aufprobierte, und als die rote dran war, hatte ich einfach das Gefühl: „Ja, die ist es.“«
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So radikal der Film auch sein mag, Alex Garland hofft einfach, dass das Publikum offen in den Film geht, das Kino verlässt, ohne sich entfremdet zu fühlen, und unsere verzwickte politische Lage vielleicht vor diesem Hintergrund durchdenkt.
Civil War ist mit all seinem Chaos, seiner Brutalität, dem Zerfall und dem Spaltenden genau das, wohin ein solches Denken führen kann und oft auch führt. Es ist eine alarmierende, fesselnde und letztlich beängstigende Vision, die Alex Garland für notwendig hält, um vor einem Krieg zu warnen, vor dem wir vielleicht die Augen verschließen, in den er uns aber gleichsam schlafwandlerisch hineingehen sieht. Der Film, ein wirklich einzigartiger amerikanischer Kriegsfilm, ist wohl auch sein kühnstes rebellisches Werk in seiner ohnehin schon erfolgreichen Karriere.

20.04.2024 | mz
Kategorien: Kino