Sonntag, 16. Februar 2025
A real Pain
Benji und David in Polen
© Searchlight Pictures
Der frischgebackene Familienvater David Kaplan macht sich mit seinem bipolaren Cousin Benji auf den Weg nach Polen, um zu sehen, wo ihre geliebte Oma, eine Holocaust-Überlebende, die vor kurzem gestorben war, gelebt hat. Um der Reise mehr Konsistenz zu geben, hatte David mit dem geerbten Geld eine geführte Holocaust-Reise gebucht, die die beiden Cousins mit anderen Interessenten zusammenbringt.
David und Benji lassen die Bande ihrer Kindheit wieder aufleben, während sie sich mit den Familientragödien der Vergangenheit auseinandersetzen, die sie in gewisser Weise immer noch prägen.
»You look like the Ricola Man!«
David Kaplan
In seiner zweiten Regiearbeit nach When you finish saving the World von 2022 mit Julianne Moore und Finn Wolfhard, der hierzulande (noch) nicht erschienen ist, überzeugt Jesse Eisenberg mit einer tiefgründigen Charakterstudie vor historischem Hintergrund als Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller.
Während einer Reise nach Polen mit seiner heutigen Ehefrau Anna Strout hatte Jesse Eisenberg eine, wie er es nennt, „seltsame Offenbarung“. Eine zweiwöchige Reise durch das Land führte ihn zu dem winzigen Haus in dem Dorf Kranystaw, in dem seine Tante Doris gelebt hatte, bevor der Holocaust ihre gesamte Familie vertrieb. »Hätte es den Krieg nicht gegeben, würde ich jetzt hier leben«, erinnert er sich an seine Gedanken. »Wie würde mein Leben aussehen? Wer wäre ich dann?«
Er war von dieser ersten Reise nach Polen so inspiriert, dass er zunächst ein Theaterstück schrieb, „The Revisionist“, das 2013 am Off-Broadway uraufgeführt wurde. Jesse Eisenberg spielte eine andere Figur namens David, einen jungen Amerikaner, der seine ältere polnische Cousine besucht, eine Holocaust-Überlebende, gespielt von Vanessa Redgrave. Das Stück war ein Erfolg, aber seine Versuche, es in ein Drehbuch zu verwandeln, kamen nicht weit.
»Alle meine Adaptionen waren schlecht«, sagt der Regisseur ganz offen. »Und ich dachte, weißt du, ich möchte wirklich einen Film schreiben und in Polen spielen, um dort drehen zu können, um dort eine andere Geschichte erleben zu können. Es hat ungefähr 15 Jahre gedauert, bis ich etwas Gutes gefunden habe, aber schließlich kam ich auf diese Geschichte, die eine Kameradschaftsgeschichte ist. Und die spielt auf einem Ausflug durch die polnische Geschichte.«
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Als David und Benji sich auf dem Flughafen für ihren Flug nach Polen treffen, sehen sie sich seit Jahren zum ersten Mal, und ihre Wege haben sich erheblich auseinanderentwickelt. »In ihrer Kindheit standen sie sich sehr nahe, fast wie Brüder«, sagt Kieran Culkin, der Benji mit Hingabe spielt. »Als sie älter wurden, haben sie sich auseinandergelebt, und für mich geht es in der Geschichte darum, wie unterschiedlich sie damit umgegangen sind. Der Eine scheint sich davon zu erholen und scheint ziemlich gut angepasst zu sein, und der Andere scheint ein bisschen in der Entwicklung gestoppt zu sein, besonders wenn es um diese spezielle Beziehung geht.«
Da David während der gesamten Reise im Schatten von Benji steht und sich in Polen mit seiner Familiengeschichte auseinandersetzt, wird seine innere Auseinandersetzung (im Grunde ein Kampf mit der Frage, ob er sich überhaupt erlauben sollte, einen Sinn für eine Auseinandersetzung zu verspüren) immer deutlicher.
»Deshalb heißt der Film A real Pain«, sagt Jesse Eisenberg. »Es geht um die Frage, was echt ist und was ein berechtigter Schmerz ist. Ist Davids Zwangsstörungs-Schmerz echt, auch wenn man die Stätten des Völkermords besucht? Ist Davids allgemeine Angststörung echt und berechtigt, auch wenn sein Cousin in seinem eigenen Leben etwas viel Schlimmeres erlebt? Das ist die Frage, die der Film aufwirft.«
»Ich glaube, David hat sein Problem ein bisschen im Griff und Benji nicht«, sagt Kieran Culkin. Dieses emotionelle Gepäck kommt während der Reise auf unerwartete Weise zum Vorschein, z.B. wenn Benji sich weigert, in einem Zug in der 1. Klasse zu sitzen, oder wenn er ein gemütliches Gruppenessen verlässt, obwohl er sich gerade zu amüsieren schien.
»Benji ist der eigentliche Star des Films«, sagt Jesse Eisenberg. »Er ist die Figur, bei der das Publikum die ganze Zeit zuschauen und versuchen wird, etwas herauszufinden – dank Kierans Brillanz.«
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Jesse Eisenberg drehte den Film an Originalschauplätzen – im ehemaligen KZ von Majdanek in der Nähe von Lubłin sowie in Kranystaw, wo seine eigene Familie herkam. Dabei hatte er Glück, dass die Betreiber der Gedenkstätte Majdanek ihnen eine Drehgenehmigung erteilten, gerade weil sein Drehbuch genau dort spielt und den Ort so zeigt, wie er ist.
Der Besuch der Gedenkstätte war für einige schwerer zu verdauen als für andere, wie Jennifer Grey erzählt: »Alles, was man sagt, würde der Erfahrung einen schlechten Dienst erweisen, denn sie ist zu groß.« Während der Dreharbeiten war sie so überwältigt, dass sie den Drehort verlassen musste – ein Moment echter Gefühle, den Jesse Eisenberg in den fertigen Film aufnehmen wollte. »Ich war einfach so überwältigt, dass mich nichts darauf hätte vorbereiten können«, sagt die Schauspielerin, die Wassermelonen tragende Tänzerin berühmt wurde. »Ich hatte noch nie etwas gefühlt, das mich auf diese Weise durchdrungen hat.«
»Ich hätte nirgendwo auf der Welt (auch nicht in meiner Heimatstadt New York City oder in meiner Wahlheimat Bloomington, Indiana) eine bessere Erfahrung machen können als bei den Dreharbeiten in Polen«, sagt der Regisseur. Die Produktion fand mit einem fast ausschließlich polnischen Stab statt, darunter Kameramann Michał Dymek, der für seine Arbeit an EO 2023 mit dem Preis der National Society of Film Critics ausgezeichnet wurde.
Für die Filmmusik wandte sich Jesse Eisenberg an Polens größtes Kulturerbe: Frédéric Chopin. Auf seiner ersten Reise nach Polen hatte er Chopins Haus besucht und seine Nocturnes in das Tondesign für sein Stück „The Revisionist“ integriert. Anders als bei einer traditionellen Filmmusik, bei der die Musik die Gefühle der Figuren unterstreicht, spielt die Chopin-Musik in A real Pain »fast wie ein laufender Kommentar«, wie Jesse Eisenberg sagt.
»Sie verleiht dem Film diesen raffinierten, distanzierten Ton, den ich einfach sehr hilfreich fand. Als wir mit dem Schnitt des Films begannen und die Chopin-Stücke an die richtigen Stellen setzten, drehten der Cutter und ich uns einfach zueinander um und sagten: „Das ist der Ton des Films.“«
Außerdem sieht man im Film auch ein Verkehrsschild, das zum Chopin-Flughafen weist. Jesse Eisenberg, der so viel von seiner eigenen Geschichte in den Film einfließen ließ, sieht zwei Möglichkeiten für das Publikum, den Film zu erleben – als eine Kumpel-Komödie über »diese beiden ungleichen Typen, die sich in verschiedenen Kontexten miteinander herumschlagen«, und dann als etwas viel Tieferes.
»Weil es ein persönlicher Film ist, berührt er die Menschen auf persönliche Weise«, sagt er abschließend. »Manche Leute sehen diesen Film und sagen mir: „Meine Familie stammt von dort, und ich habe den ganzen Film über geweint.“ Das ist eine wunderbare Reaktion, weil sie dadurch etwas fühlen.«
A real Pain ist eine persönliche Aufarbeitung nicht nur des Holocausts und der damit verbundenen Schrecken, sondern auch der Gefühle der beiden Hauptfiguren. Und manchmal ertappt man sich selbst dabei, etwas Ähnliches bei einer eigenen Städtereise erlebt zu haben.

25.01.2025 | mz
Kategorien: Kino