Freitag, 29. März 2024
Stasikomödie
Horch und Guck: Nullgesicht, Wolke, Bär und Ludger Fuchs
📷 Nik Konietzny - © Constantin Film
Ostberlin, 80er Jahre …und trotzdem scheint die Sonne! Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer entschließt sich Ludger Fuchs im Beisein seiner Familie, Einsicht in seine Stasi-Akte aus DDR-Zeiten zu nehmen. Die minutiösen Dokumente der Staatssicherheit bringen allerdings Vergangenes über den gefeierten Romanautoren zutage, das die Familienidylle ins Wanken bringt. Der krönende Abschluss der DDR-Trilogie von Kultregisseur Leander Haußmann schöpft aus den Vollen eines detailverliebten Unterhaltungskinos.
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    »Bei der Stasi gab es auch jede Menge Tierliebhaber.«
    Ludger Fuchs
Nach dem Kinoerfolg Sonnenallee (1999), der hinreißend das Leben der (Ost-)Berliner Jugend in den 1970er Jahren erzählte, folgte NVA (2005), der sich den Alltag der Soldaten in der Nationalen Volksarmee vorknöpfte. Zur Trilogie fehlte Leander Haußmann nur noch eine Komödie über das Ministerium für Staatssicherheit – kurz: Stasi.
Produzent Herman Weigel verbindet mit Leander Haußmann eine lange, kreative Freundschaft. 2007 produzierte er die Komödie Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken bei der Leander Haußmann Regie führte. In der gleichen Konstellation entstand 2009 die Rentnerkomödie Dinosaurier. Und immer stand bei ihrer Zusammenarbeit die Idee im Raum, eine Komödie über die Stasi zu realisieren: »Solange ich Leander Haußmann kenne, hat er davon gesprochen, dass irgendwann eine Stasi-Komödie gedreht werden muss.«
Doch Jahre vergingen, in denen sich beide auf andere Projekte konzentrierten. Irgendwann aber, bei einem gemeinsamen Essen in Berlin, hatten sie für den Film die zündende Idee: Im Zentrum der Geschichte sollte ein sympathischer, etwas naiver junger Mann stehen, der im Auftrag der Stasi die Jugend- und Künstlerszene im Prenzlauer Berg infiltriert, um die Szene von innen zu zersetzen. Der Held allerdings fühlt sich da so wohl, dass er seine eigentliche Aufgabe komplett aus den Augen verliert.
Der Anfang des Films ist schon brüllend komisch – und völlig absurd! Da steht der junge Ludger an einer roten Ampel am damaligen Leninplatz und wartet auf Grün. Weit und breit ist kein Auto in Sicht. Ein Steppenläufer rollt über den Platz (samt Westernmusik). Ein Straßenreinigungsfahrzeug kommt von der Gegenrichtung an die Ampel gefahren. Eine Katze sitzt dort auf der Straße. Kann Ludger die Katze retten, bevor der Lkw ankommt? Für MfS-Oberstleutnant Siemens und seine Truppe, die dem Geschehen gespannt per Überwachungskamera zusehen, ist das Ludgers Aufnahmeprüfung: Geht er bei Rot, hat er verloren…
Da sich der Platz nur minimal verändert hat, war es lediglich eine logistische Aufgabe, den Leninplatz noch einmal auferstehen zu lassen. Für den Rest des Films hatte Szenenbildner Lothar Holler die knifflige Aufgabe, die DDR und insbesondere dessen Hauptstadt glaubhaft wieder auferstehen zu lassen. Der ganze Film spielt im Prenzlauer Berg, doch der Bezirk hat sich über die Jahre derart verändert, dass dort nicht gedreht werden konnte. Und die „Berliner Straße“ in den Studios Babelsberg, die damals für Sonnenallee errichtet wurde, kam für Leander Haußmann nicht in Frage, denn Sonnenallee spielte in Treptow.
Um die Großstadt erlebbar zu machen und die Bilder größer fassen zu können, entstanden alle Außenaufnahmen im thüringischen Gera und im polnischen Breslau. Lothar Holler setzte sich zunächst intensiv mit dem einst eher vernachlässigten Stadtbezirk Prenzlauer Berg auseinander: »Der Bezirk übte in den 1980er Jahren eine große Anziehungskraft auf Künstler, Intellektuelle, Studenten und individuell Andersdenkende aus, die eine Alternative oder einen Einspruch zur sozialistischen Beglückung leben wollten.
Die Besonderheit von Ost-Berlin war die hohe Konzentration von Kultureinrichtungen wie Theater, Museen, Film- und Fernsehen, Kunstschulen und natürlich die Nähe zu West-Berlin mit den medialen Verbindungen, den ansässigen Botschaften und deren angeschlossenen Kulturinstituten, aber auch der Möglichkeit des Westfernsehens. Aus Sicht des Ministeriums für Staatssicherheit waren das genug Gründe, um die Szene zu unterwandern und zu zersetzen.«
Bei den Innenmotiven herrschte weniger Durchgangsverkehr. Alle Wohnungen, die im Film zu sehen sind, konnten Lothar Holler und sein Team in einem leerstehenden Wohnkomplex in Berlin einrichten. Ein echter Glücksfall! »Die Wände, der Hinterhof und der Seitenflügel hatten mit ihrer Bröckligkeit die nötige Struktur, wie sie heute in Berlin wohl sonst nicht mehr zu finden ist«, sagt der Szenenbildner.
Den Komplex des Ministeriums für Staatssicherheit mit allen Büros, Konferenzräumen und der passenden Infrastruktur fanden die Ortskundschafter in Gera. »Als ehemalige Bezirkshauptstadt bietet Gera den Vorteil, dass viele Liegenschaften der ehemaligen DDR leer stehen und wir dort die Einheitsarchitektur der 1970er Jahre und das vorhandene Mobiliar gefunden haben«, sagt Lothar Holler. »Selbst ein bronzenes Lenin-Denkmal fand sich in einer Scheune und wurde von uns sichergestellt!«
Die Geburtstagsfeier Erich Mielkes, die als Rokkoko-Kostümfest mit Mielke als eine Art Sonnenkönig (oder August, der Starke) ist ein exzentrischer und urkomischer Höhepunkt des Films. Gedreht wurde im barocken Schloss Crossen im Osten Thüringens. Im gut erhaltenen Barocksaal mit seiner italienischen Illusionsmalerei wurden ein Bankett und ein Orchesterpodium aufgebaut, sowie Erich Mielkes extravagantes Auftrittsvehikel – der Goldene Reiter.
»Da feiert eine illustre, handverlesene Gesellschaft hinter Schlossmauern, und nichts dringt nach draußen«, betont Lothar Holler. »Das ist ein Ball, den man sich im Kontext der DDR niemals denken würde, der aber von Stasi-Mitarbeitern in opulenter, aufwendiger Kostümierung besucht wird.« Sogar Ludger Fuchs‘ blasse Ermittler-Genossen Bär, Wolke und Nullgesicht haben ihre triste Dienstkleidung gegen Rokoko-Kostüme eingetauscht, eine weiße Perücke über den Topfschnitt gestülpt und sich die Wangen gepudert.
»Die große Vielfalt der Kostümthemen in Leander Haußmanns Stasikomödie ist mit keinem vorherigen Projekt vergleichbar, das ich für Leander Haußmann verwirklicht habe«, sagt Janina Brinkmann, die mit ihrem Team fast 700 Kostüme herstellen, kaufen oder aus dem Fundus organisieren musste.
Die letzte Klappe fiel bereits am 1. November 2019. Ursprünglich war geplant, Leander Haußmanns Stasikomödie rund um die Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag der deutsch-deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 2020 in die Kinos zu bringen. Doch die Corona-Pandemie sorgte zunächst für unfreiwillige Startverschiebungen. Der harte Lockdown mit allen Einschränkungen verzögerte zusätzlich die Nachbearbeitung des Films.
Detlev Buck spricht von einem „befreienden“ Film: »30 Jahre nach dem Ende der DDR holt Leander die damalige Zeit durch Kulissen, Kostüme und historische Autos wieder zurück und verändert sie so, wie es ihm passt. Er zeigt die Stasi nicht so gefährlich und unangenehm, wie sie eigentlich war, sondern stellt sie als einen Haufen von Vollhonks dar. Das ist ja das Schöne, dass alle autokratischen Staaten eine riesige Macke haben und früher oder später zusammenkrachen, weil nichts und niemand auf Grundlage eines Lügensystems existieren kann.«
Viele denken vermutlich, dass das Thema DDR und Wende niemanden mehr unter dem Ofen hervor lockt. Für alle, die die DDR nicht miterlebt haben, ist der Film womöglich nicht ganz so komisch, weil man die Zeit damals in der DDR nicht mitgemacht hat. Die Szene, in der Ludger zu Mielke persönlich zitiert wird und er Angst hat, das wäre sein Ende, da alle ein todernstes Gesicht machen und aus dem Bürosaal immer wieder ein aufgebrachter Mielke Sachen wie „Alamstufe Rot!“ brüllt, ist Gold wert! Wer in der DDR aufgewachsen ist, wird sich köstlich amüsieren und schmunzeln, auch wenn die Stasi in Wirklichkeit sicher nicht so dilettantisch arbeitete wie in diesem Film.
Für Leander Haußmann soll es das Ende der Beschäftigung mit den erzählenswerten Dingen sein, die er in der DDR erlebt hat. Produzent Herman Weigel meint dazu: »Warten wir mal ab.« Auch Detlev Buck meint, dass es nicht zwingend das Ende sein muss: »Martin Scorsese dreht immer wieder neue Filme über die Mafia. Auch Leander wird bestimmt noch die eine oder andere Erinnerung an die DDR haben, die erzählt werden sollte – von daher: Never say never!«

03.12.2022 | mz
Kategorien: Feature | Filme