Samstag, 27. April 2024
Extraction
Söldner Tyler Rake (Chris Hemsworth) muss Ovi Mahajan (Rudhraksh Jaiswal), den Sohn eines Gangsterbosses, aus den Fängen eines Rivalen befreien.
Söldner Tyler Rake (Chris Hemsworth) in den Straßen von Bangladesh
Söldner Tyler Rake (Chris Hemsworth) im Kampf gegen Saju (Randeep Hooda)
Ovi Mahajan (Rudhraksh Jaiswal) und sein Befreier Tyler Rake (Chris Hemsworth)
Chris Hemsworth im Gespräch mit Regisseur Sam Hargrave am Set
Regisseur Sam Hargrave mit Chris Hemsworth am Set
David Harbour und Chris Hemsworth werden beim Dreh von Regisseur Sam Hargrave angeleitet.
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Die Lichtspielhäuser sind weiterhin geschlossen, Kinofilme kommen entweder gleich digital ins Haus oder werden um Monate nach hinten verschoben. Das hat natürlich zur Folge, dass die Strömungsportale erheblichen Zuwachs bekommen. Die Filme, die Netflix bislang herausgebracht hat, waren zumeist eher dem gesunden Mittelmaß zuzuordnen. Jetzt ist dort ein Actionkracher gestartet, der so einiges zu bieten hat.
Sam Hargrave, seines Zeichens Stuntkoordinator, der sich u.a. bei Atomic Blonde und dem Avengers-Finale als Regisseur des Zweiten Stabes ausprobiert hat, überzeugt in seinem Spielfilm-Regiedebüt mit erstklassiger Action und halsbrecherischen Stunts wie auch mit einem erstklassig agierenden Chris Hemsworth, der seiner Rolle genügend Tiefe gibt, die aber vermutlich von der Originalgeschichte ausgeht, die Joe und Anthony Russo mit Ande Parks vor über einem Jahrzehnt als Comic herausgebracht hatten.
In dem Film geht es um den Söldner Tyler Rake, der angeheuert wird, um in der bengalischen Hauptstadt Dhaka den entführten Sohn eines Drogenbosses aus den Fängen von dessen Widersacher zu befreien. Dabei hinterlässt er eine Schneise der Verwüstung, die ein wenig an die Prologsequenz von Captain America | Civil War erinnert, an der Thor bekanntlich nicht mitgewirkt hat. Doch die Nahkampf-Action ist hier weitaus expliziter, die Gewaltdarstellung einen Zacken schärfer. Das Einzige, was noch fehlt, ist das lose Mundwerk eines Samuel L. Jackson.
Der skrupellose Amir Asif, der sich an dem gewieften Straßenjungen Farhad einen Narren gefressen hat, setzt alle Mittel in Bewegung, um die Befreiungsaktion zu unterbinden. Dabei schreckt er auch nicht davor zurück, den korrupten Polizeiapparat zur Unterstützung herbeizuholen. Doch auch Tyler Rake bekommt auf dem Weg zum nächsten Extrahierungsort unerhoffte Hilfe. Auf einer Brücke kommt es, ähnlich wie bei Thor auf Asgard, zum finalen Kampf…
»That kid is a walking corpse.«
Gaspar
Joe Russo erinnert sich daran, wie die Geschichte mit Ande Parks entstand: »Wir blieben an den Wochenenden mit meinem Vater auf und sahen uns all die typischen Actionkrimis der 70er Jahre an. Daher habe ich eine startke emotionale Verbindung mit dem Genre. Doch mit diesem Film wollte ich es dekonstruieren – die Vorstellungen davon zu dekonstruieren, was es heißt, ein Held zu sein, und schwierige Fragen zu den traditionellen Actionfilm-Stereotypen zu stellen. Am Ende des Films bleiben einem also viele Ideen, die auf den Kopf gestellt wurden.«
Sam Hargrave hat die Erfolge gesehen, den seine Kollegen Chad Stahelski und David Leitch mit ihren Filmen hatten, und hat den Sprung gewagt: »Ich hatte schon seit Jahren das Ziel, Regie zu führen. Ich arbeitete mich langsam nach oben – von Stunts über Actionregie und Zweiter-Stab-Regie bis hin zur Regie meines eigenen Films, womit nun (zudem noch mit den Russos an Bord) ein Traum in Erfüllung ging.«
Der Regisseur choreografierte zudem auch die Stunts und spielt eine kleine Rolle als Tylers Teamkollege. Wenn man ihn sich so ansieht, mit diesem Zauselbart am Set oder auch mit dem getrimmten Vollbart im Film, kommt man gar nicht auf die Idee, dass er das Stuntdouble von Captain America war. Dadurch konnte er jede Menge Erfahrungen sammeln – stunttechnisch wie auch schauspielerisch anleitend.
»Das ist der intensivste Film, körperlich wie psychisch, den ich jemals gemacht habe«, sagt Chris Hemsworth, der aus Termingründen in 2-3 Wochen für seine Rolle trainiert hat, wofür eigentlich 6-8 Wochen geplant waren. »Es hat sich aber auch gelohnt, denn es fühlte sich so an, als hätten wir etwas Besonderes geschaffen. Obwohl ich am Ende eines jeden Tages erschöpft war, gab es einem doch das Gefühl, etwas geschafft zu haben.«
Während der Actionszenen ist man stets mittendrin im Geschehen – näher geht es einfach nicht! Und während man in den meisten Filmen mit Autojagdszenen die Action aus verschiedenen Blickwinkeln zusammenschneidet und die Nahkämpfe mit Wackelkamera verschlimmbessert, merkt man in diesem Film sofort, dass hier jemand Ahnung davon hat, solche Szenen treffsicher zu visualisieren.
»Sam hat uns nicht nur die Stunts vorgemacht, Szenen geschrieben und dirigiert«, erzählt der Hauptdarsteller. »Und dann sieht man ihn auf der Motorhaube festgeschnallt, so nah an der Action, wie man nur irgendwie sein kann. Einmal stieß sein Wagen in die Seite meines Wagens. Wir riefen „Cut!“ und sahen hinunter und sahen sein Bein zwischen den Autos eingeklemmt. Aber wie durch ein Wunder befand sich sein Fuß in dieser kleinen Lücke zwischen Rad und dem Fahrgestell. Ein paar Zentimeter nach links oder rechts und es hätte ziemlich deftig werden können.«
Stuntkoordinator Daniel Stevens hat die 11-minütige Autojagd, in der Tyler und Ovi aus den Wäldern fliehen, wochenlang geprobt. »Weil wir nur einen Kamerablickwinkel benutzen, musste das Ganze perfekt geplant werden«, sagt er. »Es ist knifflig, aber es macht das Ganze für das Publikum aufregender, denn man fühlt sich mittendrin und nicht getäuscht.«
🧘🏼‍♂️ 👦🏾 🏙️ 🔫 💥
Die Actionszenen wurden in bevölkerungsreichen Städten gedreht, weshalb auch immer wieder im Hintergrund Unbeteiligte zu sehen sind, die dem Geschehen zusehen – so z.B. in dem Gebäudekomplex, in dem Tyler und Ovi den Polizeikräften „ausweichen“ müssen, sieht man am entfernten Gebäude gegenüber Balkone voller Zuschauer. Der geübte Actionfan kennt sowas noch aus älteren Filmen aus den 60ern, 70ern und 80ern. Das macht das Ganze irgendwie ehrlich, auch wenn die Geschichte komplett konstruiert ist.
Sam Hargrave ist ein Actionfilm gelungen, der sich nicht nur vor den klassischen Genreverwandten von vor 40 Jahren verbeugt, sondern auch noch jede Menge Schauwerte hat – nicht zuletzt Chris Hemsworth, der hiermit nicht nur beweist, dass er genügend Starpower besitzt, um solch einen Film zu tragen, sondern auch, dass er der Gott des Donners ist. Und trotzdem der Film oft sehr brutal ist, auch wenn bei den ganz bösen Szenen die Kamera (für seichte Gemüter zum Glück) nicht immer bis zum Ende folgt, kommt bei den rasanten Kampfszenen nicht allzu viel Ermüdung auf, was vermutlich an der nervenschonenden Kameraarbeit von Newton Thomas Sigel liegt.

21.10.2023 | mz | Quelle: Netflix
Kategorien: Feature | Filme