Samstag, 6. Juli 2024

A quiet Place | Day One

Eric und Samira flüchten in den Untergrund.
📷 Gareth Gatrell - © Paramount Pictures
Mit A quiet Place brachte 2018 Schauspieler John Krasinski eine innovative Idee zum Thema Invasion von Außerirdischen ein: Alles, was Krach macht, ist Freiwild für die fremden Kreaturen. Das Drama um den Überlebenskampf einer Familie und dessen Fortsetzung 2021 spielten insgesamt über 600 Millionen US-Dollar ein, was natürlich nach Mehr verlangt.
Die beiden Filme warfen auch spannende Fragen für die Zuschauenden auf: Was sind diese Kreaturen und woher kommen sie? Warum sind sie auf die Erde gekommen? Können sie besiegt werden? Während der Entwicklung des neuesten Werkes stellte sich John Krasinski genau diese Fragen. »Es war an der Zeit, zu untersuchen, wie der Rest der Welt mit dieser Krise umgeht«, sagt er. »Ich habe mich vor allem gefragt, wie die Menschen in einer Großstadt wie New York mit all dem Chaos und dem Lärm, den Millionen von Menschen dort verursachen, reagieren würden.«
Diese Idee wurde zur Grundlage für A quiet Place | Tag Eins. Ein gewöhnlicher Tag in Manhattan wird zu einer globalen Katastrofe, als eine interplanetarische Invasion Kreaturen auf die Erde regnen lässt und das wahllose Abschlachten der Menschheit beginnt. »Ich wollte einen Ort nehmen, den wir alle kennen, und ihn in außergewöhnliche Umstände versetzen«, erklärt John Krasinski weiter, der diesmal nur als Produzent fungiert. »New York City, ob man dort war oder nicht, ob man es mag oder nicht, ist einem sofort vertraut. Und in einer Welt, in der mörderische Kreaturen jederzeit und überall auftauchen können, wenn sie ein Geräusch wahrnehmen, ist New York nicht der beste Ort, um dort zu sein.«
Im Mittelpunkt steht Samira, eine junge Frau, die in einem Hospiz am Stadtrand auf ihren Tod wartet. Als Pfleger Reuben einen Ausflug in die Großstadt New York organisiert, kann er Samira nur dazu überreden, indem er ihr gestattet, eine Pizza bei ihrem Lieblings-Pizzabäcker zu essen. Doch während die Truppe im Marionettentheater eine Vorstellung besucht, bricht draußen die Hölle los.
»Sie sieht sich plötzlich mit dem gewaltsamen Ende von allem, was sie kennt, konfrontiert«, sagt Regisseur Michael Sarnoski, der mit seinem Spielfilm-Debüt Pig mit Nicolas Cage Erfolge feierte. »Das zwingt sie, sich ihren Erinnerungen zu stellen. Lupita verkörpert sie auf spektakuläre Weise.«
Lupita Nyong’o, die für ihre Nebenrolle in 12 Years a Slave mit dem Oscar® ausgezeichnet wurde und auch mit ihren Rollen in Black Panther und Wir bestechen konnte, stand beim Regisseur ganz oben auf der Liste für die Hauptrolle der Samira, wie John Krasinski berichtet: »Sie ist eine sehr starke Schauspielerin. Die Rolle war sowohl physisch als auch psychisch herausfordernd (sie wurde praktisch täglich terrorisiert) und sie ging damit brillant und elegant um, indem sie ihrer Figur eine Kombination aus Mut und Verletzlichkeit verlieh.«
In ihrem früheren Leben war Samira eine erfolgreiche veröffentlichte Dichterin, und die Poesie spielt in dem Film eine wichtige Rolle. »Poesie hat etwas Wesentliches an sich«, sinniert der Regisseur. »Ich mag die nackte Schönheit der Poesie und die Idee, dass sie jemand ist, der den Funken dafür verloren hat. Aber in dieser Welt ohne Worte entdeckt sie ihn wieder.«
Das Drehbuch beschreibt Samira als körperlich zerbrechlich, so dass die Schauspielerin, die bereits schlank und fit ist, beschloss, für die Rolle abzunehmen. »Ich hatte so etwas noch nie gemacht«, erzählt Lupita Nyong’o. »Ich wollte es tun, denn wenn man hungrig und bereits untergewichtig ist, ist man ungeheuer verletzlich. Man überlegt sich jede Bewegung mit Bedacht. Meine energetischen Herausforderungen spiegelten sich oft in den Szenen wider, die ich an diesem Tag drehte.«
Auf ihrer Reise von Chinatown nach Harlem trifft Samira auf Eric, gespielt von Joseph Quinn, der vor allem durch seine Rolle als Eddie Munson, dem Rock-‘n’-Roll-Antihelden der vierten Staffel von Stranger Things, bekannt ist. »Joe ist wahnsinnig talentiert«, sagt John Krasinski. »In Tag Eins wandelt er am schlimmsten Tag im Leben seiner Figur auf dem schmalen Grat zwischen Kampf und Flucht. Er und Samira versuchen, unter erschütternden Umständen zu überleben, die sie zueinander zwingen. Diese Beziehung macht sie zum Herzschlag des Films.«
Ein weiteres Element, das ihn zu einer perfekten Besetzung für die Rolle machte, ist das Maß an Sensibilität und Wärme, das er Eric einhauchte. »Joe trägt eine sehr authentische Weisheit und tiefe Freundlichkeit in sich«, erklärt Michael Sarnoski. »Er hat etwas an sich, das etwas jungenhaft ist, aber auch weiser als sein Alter. Und das war wirklich wichtig für Eric.«
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Während in den ersten beiden Filmen eine Familie im Mittelpunkt stand, die in aller Stille ums Überleben kämpfte, wird in diesem neuesten Kapitel die Geschichte von ungleichen Fremden erzählt, die gezwungen sind, das Chaos der Invasion zu bewältigen und ihr Überleben gemeinsam auszuhandeln – und das alles ohne das gleiche Maß an Vertrauen, das die Familie Abbott hatte.
Eric taucht zum ersten Mal auf, als er völlig geschockt aus der zerstörten U-Bahn auftaucht und sich an Samira festhält. Ihre erste Reaktion ist Verärgerung, so Michael Sarnoski: »Das Letzte, was sie will, ist, sich um jemand anderen zu kümmern. Eric braucht eine Verbindung und jemanden, der diesem Moment einen Sinn gibt. Also müssen sie einen Mittelweg finden.«
Eric ist aus Großbritannien nach New York gekommen und sucht nach der idealisierten, mythischen Version der Stadt, beobachtet Joseph Quinn: »Er ist in ein New York verliebt, das es nicht mehr gibt. Er hat dort weder Familie noch Freunde, also ist Samira vielleicht seine beste Chance, hier lebend rauszukommen. Alles, was sie will, ist ein Stück Pizza – was sehr lustig und sehr menschlich ist, aber in der Geschichte gibt es auch einige schöne Momente über Trauer, Sterblichkeit und Verlust. Alles, was sie haben, ist tatsächlich nur einander. Und wenn das wegfällt, was bleibt ihnen dann noch?«
Neben Alex Wolff, mit dem der Regisseur in Pig bereits zusammengearbeitet hat, ist erneut Djimon Hounsou zu sehen, der Tag Eins mit A quiet Place 2 verbindet. In Letzterem erinnert er sich an diesen Tag, an dem die Außerirdischen auf die Erde kamen. »Er erzählte von Menschen, die versuchten, mit Booten aus der Stadt zu fliehen, und von denen viele getötet wurden«, sagt Michael Sarnoski.
»Henri war eine so fesselnde Figur, dass ich beschloss, ihn und Djimon zurückzubringen. Ich hatte immer das Gefühl, dass Henri von etwas heimgesucht wird, und jetzt erfahren wir, was. Djimon hat in dieser Szene eine unglaubliche Leistung vollbracht. Er hat so viel Intensität in die Rolle gebracht und ist dabei immer ein warmer, liebenswerter Mensch geblieben.«
Djimon Hounsou sagt, dass es zwar einfacher erscheinen mag, in einem Film weniger Zeilen zu sprechen, dass er aber die Kommunikation in der Stille oft als anstrengend empfand: »Das war für mich eigentlich eine viel größere Herausforderung. Ich habe eine Szene gedreht, die so intensiv war, dass ich schon nach ein paar Mal Sprechen völlig erschöpft war.«
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Eine große Herausforderung bestand darin, die Stadt New York aufzubauen, denn der Film wurde in London gedreht – genauer gesagt in den Studios in Leavesden sowie vor Ort am Canary Wharf, in der Shoreditch Town Hall und der Woolwich Dockyard.
Mit dem Auftrag, ganz Manhattan auf einem Studiogelände etwa 20 Meilen nordwestlich von London nachzubauen, begann Produktionsdesigner Simon Bowles damit, aufwändig detaillierte Nachbildungen der wichtigsten Schauplätze zusammenzustellen: »Alles wurde in 3D mit Hilfe von virtueller Realität, Modellen und Begehungen in der Computerwelt entworfen. Als ich die tatsächlichen Sets betrat, war ich überwältigt von der Detailtreue, die meine Crew an den Tag legte.«
Er bewältigte den oft komplizierten Bau mit großem Einfallsreichtum, sagt Michael Sarnoski: »Wir hatten eine Stadtkreuzung auf dem Grundstück, die wir für vier verschiedene Standorte umgestaltet haben – Chinatown, Harlem, die Lower East Side und die Upper East Side. Die Wände von Simons Büro waren mit Bildern bedeckt, die die verschiedenen Orte vor und nach dem Anschlag darstellten. Es war wahnsinnig kompliziert, aber er hat es mit Bravour gemeistert.«
Mit mehr als 200 Kameraeinstellungen allein an dieser Kreuzung hatten Pat Scola und sein Team alle Hände voll zu tun. »Simon hat es geschafft, die Essenz jedes Viertels einzufangen«, sagt der Kameramann. »Wir wollten nicht dieselben Aufnahmen in denselben Straßen wiederholen, also diskutierten Michael und ich verschiedene Möglichkeiten, wie wir die Blickwinkel maximieren konnten. Die Schaufenster waren zum Beispiel einen halben Meter tief, so dass wir eine Kamera darin einklemmen konnten, anstatt sie die ganze Zeit auf der Straße zu haben. Das steigerte den Realitätssinn und ließ die Umgebung größer erscheinen.«
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Inmitten all der Zerstörung nennen sowohl Simon Bowles als auch Pat Scola eine gemütliche Szene in der Wohnung, in der Samira aufgewachsen ist (und in die sie seit dem Tod ihres Vaters nicht mehr zurückgekehrt ist) als eine ihrer Lieblingsszenen. »Es gibt dort eine Menge Nostalgie für sie«, erklärt der Produktionsdesigner. »Wir haben mit freiliegenden Ziegelwänden und abfallendem Putz Texturen geschaffen, so dass es sich wie ein wiederverwendeter Raum in Manhattan anfühlt. Das alles trägt zu Samiras Hintergrundgeschichte bei.«
Die Szene bietet den Filmfiguren eine willkommene Atempause von der Gefahr. Draußen regnet es, was genug Lärm erzeugt, um den Klang der leisen Unterhaltung zu überdecken. »In dieser Szene gibt es mehrere Seiten Dialog«, sagt Pat Scola. »Sie ist relativ einfach in der Ausführung, aber ich habe mich sehr darauf gefreut, weil es ein so besonderes Stück Text ist.«
Auch Samiras Katze und ständiger Begleiter Frodo freut sich auf die Reise zurück in ihre alte Heimat, um sich von der gefährlichen Reise zu erholen und sich an ihr früheres Leben in der Stadt zu erinnern. Es ist offensichtlich, dass die beiden eine besondere Beziehung zueinander haben, so Michael Sarnoski, der eine bestimmte Rolle für die Katze im Sinn hatte:
»In meiner Vorstellung war Frodo das Einzige aus ihrem New Yorker Leben, das Samira noch hatte. Und sie haben ähnliche Erinnerungen, die in vielerlei Hinsicht zusammenspielen. Frodo war wahrscheinlich eine Straßenkatze und sie begann, ihm Milch auf die Fensterbank zu stellen, bis er ihr kleiner Kumpel wurde. Als sie New York verließ, war Frodo das Einzige, was sie mitnahm. Mir gefiel das Bild von Samira, die mit ihrer Katze an ihrer Seite durch das zerstörte New York City läuft, wie Partner in einem großen Abenteuer.«
Der Regisseur gibt zu, dass man eine Katze nicht wirklich dirigieren kann, aber er musste es einfach versuchen. »Ich muss Jo Vaughan, der äußerst talentierten Tiertrainerin von Birds and Animals UK, die mit Schnitzel und Nico, den beiden Katzen, die Frodo spielen, gearbeitet hat, meinen Respekt zollen«, sagt er. »Nico war besser für die langen Bewegungen wie das Laufen auf der Straße. Schnitzel zeichnete sich durch die kleinen Tricks aus, wie z.B. auf Kommando an die Tür zu pfoten. Sie waren beide wunderbar.«

A quiet Place | Tag Eins zeigt uns, ähnlich wie zu Beginn von A quiet Place 2, den Beginn der Invasion – diesmal jedoch in einer Großstadt. Zwar vermag die Geschichte um die Totgeweihte (eine genauere Diagnose wird uns vorenthalten), ihre Katze und ihren ziellosen Begleiter Eric eine interessante Prämisse zu vermitteln, doch wirklich Neues können Endzeit-geübte Zuschauende hier nicht finden.
Der Film wirkt wie eine überlange Zusatz-Geschichte aus dem A quiet Place-Universum, ähnlich wie es bei den sechs Tales of the Walking Dead der Fall war. Das Stillsein konnten wir in den ersten beiden Filmen bereits üben, die Handlung zwischen Invasionsbeginn und Filmende kennen wir bereits aus The Walking Dead oder der Apple-Serie Invasion (bzw. dessen deutschen Titels Infiltration).
Demzufolge hält sich die Spannung stark in Grenzen. Natürlich darf auch hier nicht auf die Schlachteplatte verzichtet werden, in der die Menschenmassen wie die Lemminge ihrem unausweichlichen Tod entgegenwaten. Zwar überzeugen die Schauspielenden, doch wem der Weg zum Ziel bekannt vorkommt, läuft Gefahr, bis zum Ende immer wieder wegzunicken.
So ist A quiet Place | Tag Eins lediglich eine Zusatzgeschichte aus dem Filmuniversum der Reihe, die man gut in sich aufsaugen kann, die jedoch wegen der Vorhersehbarkeit eher mittelmäßig unterhält. Da hätte man lieber die Abenteuer von Frodo oder die Dramaturgie um den von Djimon Hounsou gespielten Henri erleben wollen…

03.07.2024 | mz
Kategorien: Kino