Freitag, 19. April 2024
Erschütternde Wahrheit
Concussion
Brisante Aufdeckungen von Fehlverhalten in Firmen, Einrichtungen oder Regierungen beschäftigen die Filmemacher seit Jahrzehnten. Ob SilkwoodErin Brockovich oder The Insider, um nur einige zu nennen, steht stets eine Figur im Mittelpunkt der Geschichte, mit der wir mitfiebern, dass die düstere Wahrheit ans Tageslicht kommt. Hier steht ein Pathologe im Mittelpunkt des Geschehens, noch dazu ein aus Nigeria stammender Häuptlingssohn eines Igbo-Stammes!
»Bennet ist ein gerichtsmedizinischer Pathologe und er führt täglich Autopsien durch, also verbringt er eine lange Zeit mit Leichen«, sagt Hauptdarsteller Will Smith, der Dr. Omalu in dessen Praxis beobachten konnte. »Er sieht sich bei seinem Job als gerichtsmedizinischer Pathologe mehr als Befreier von Seelen – der letzte Wächter an der Schwelle zwischen diesem Reich und dem nächsten. Er ist ein tief spiritueller Mann, und wenn er eine Autopsie durchführt, ist das eine geistige Erfahrung für ihn. Er hat einen wunderbaren sechsten Sinn, herauszufinden, wie eine Person gestorben ist. Er geht deren Sachen und Aussehen durch und ersucht deren Hilfe, herauszufinden, wie sie gestorben sind.«
Für diese Rolle musste sich Will Smith einen nigerianischen Akzent anlernen, weshalb er 3 Monate vor Produktionsbeginn Unterricht beim Film-, Theater- und TV-Dialekttrainer Diego Daniel Pardo nahm. Produzent Ridley Scott betont: »Ein nigerianischer Akzent ist sehr weich und musikalisch und süß. Will hat ihn wundervoll und mit großer Zurückhaltung hinbekommen.«
In der Tat ist das einer der markantesten Punkte des Films, die nachhaltig im Gedächtnis bleiben. Ältere Zuschauende aus der DDR werden vielleicht auch ein wenig schmunzeln, dass der erste Fall, den Omalu investigiert, den Namen Mike Webster trägt, hervorragend gespielt vom ewigen Nebendarsteller David Morse. Mike Webster war der Name einer Figur der TV-Unterrichtssendung English for you, die von 1966 an in Schwarzweiß über die DDR-Bildschirme lief. An der tragischen Figur in diesem Film war jedoch an sich überhaupt nichts zu schmunzeln.
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Hier in Europa wird der brachiale Football-Sport der US-Amerikaner wie dort der europäische Fußball eher stiefmütterlich behandelt. Dass das Offensichtliche (bewusstseinsverändernde Gehirnerschütterungen trotz Helm) jedoch bei den Verantwortlichen der NFL heruntergespielt wird, damit Football Volkssport Nummer Eins bleibt, hat vielleicht nicht gerade die Tragweite der Zigarettenindustrie, ist aber trotzdem lebensgefährlich und wird mittlerweile auch in gerichtlichen Vergleichen ausbezahlt.
Ganze zehn Jahre (von 2002-2012) dauerte Bennet Omalus Kampf um die Aufklärung und Anerkennung dieses von ihm entdeckten Schädeltraumaphänomens – CTE genannt. Seelische, moralische wie auch liebestechnische Unterstützung bekam er von der damals frisch zugewanderten Prema Mutiso, gespielt von der Britin Gugu Mbatha-Raw, die sich von britischen Serien wie Doctor Who und Bonekickers über US-Serien wie Undercovers und Touch nun auch im Kino zu etablieren versucht. Vor ihrer ersten Hauptrolle in Dido Elizabeth Belle spielte sie in Filmen wie Larry Crowne und Odd Thomas und war vor kurzem auch in Jupiter ascending zu sehen.
Die Erschütternde Wahrheit ist jedoch, dass der Film zwar technisch und schauspielerisch solide inszeniert wurde, dann allerdings oft ein wenig zu pathetisch wirkt und das Thema zwar recht interessant ist, doch außerhalb der USA kaum jemanden anspricht. Will Smiths wunderbare Darstellung des Arztes wurde zwar mit einer Golden-Globe®-Nominierung bedacht, doch bei der bevorstehenden Oscar®-Verleihung, wie auch diverse andere Filme mit farbigen Protagonisten, komplett übergangen, weshalb auch zahlreiche Künstler die Verleihung am kommenden Sonntag boykottieren (siehe #OscarssoWhite in den Sozialen Medien).

21.04.2020 | mz
Kategorien: Feature | Filme