Freitag, 19. April 2024
The Call of the Wild
Bucks glückliches Hundeleben wird vollkommen auf den Kopf gestellt, als er seinem Zuhause in Kaliforniern entrissen wird und sich plötzlich in der fremden Wildnis Alaskas zu Zeiten des Goldrauschs wiederfindet. Er wird in ein Rudel von Post-Schlittenhunden gesteckt und muss sich hier erst einmal behaupten.
Nachdem Buck einen gefährlichen Befehl verweigert, wird er lebensgefährlich verletzt. Zum Glück findet ihn John Thornton, der Buck wieder aufpäppelt und gesundpflegt. Die beiden werden unzertrennliche Freunde und für Buck beginnt das Abenteuer seines Lebens, bis er schließlich seinen wahren Platz in der Welt findet.
Vor der Veröffentlichung als Kurzroman im Jahr 1903 konnte man Jack Londons Abenteuersaga über einen Hund namens Buck in Serienform in der The Saturday Evening Post lesen. Seither wurde sie in 47 Sprachen übersetzt und war durchgehend in Druck – ein Beispiel für zeitlose, klassische amerikanische Literatur.
Der Roman »erzählte den Menschen von Orten in Nordamerika, von denen sie zwar gehört, aber bestenfalls Fotos gesehen hatten. Es gab eine regelrechte Manie in Amerika über den Goldrausch am Klondike. Die Zeitungen konnten gar nicht genug Geschichten darüber abdrucken. Den Menschen war gar nicht bewusst, dass dieser Mythos buchstäblich auf dem Rücken der Hunde aufgebaut wurde«, sagt Drehbuchautor Michael Green.
»Der Stoff hat seit mehr als 100 Jahren Bestand, weil er wie alle großen Werke der Literatur etwas Universelles zu erzählen hat«, sagt Produzent Erwin Stoff. »Es geht um Verlust, die Heilung von Verlust, um Heimat und davon, von seiner Heimat entwurzelt zu werden. Vor allem geht es aber darum, auf eine Reise zu gehen und eine bessere und stärkere Version von sich selbst zu finden.«
1923 wurde die Geschichte erstmals mit Jack Mulhall in der Rolle des Jack Thornton verfilmt. Jack Mulhall – den kennt heute zwar keiner, aber wenn man sich sein Resümee mit ca. 15 Filmauftritten pro Jahr so ansieht, kann man ihn schon mit einem Nicolas Cage vergleichen. 1935 war Clark Gable in der Rolle zu sehen. In Deutschland erhielt der Film damals noch den Namen Goldfieber in Alaska.
Ab 1972 wurde die Geschichte fortan mit Ruf der Wildnis betitelt, um den Bezug zu Jack Londons Kurzroman zu unterstreichen. Diese Verfilmung mit Charlton Heston, Michèle Mercier und Raimund Harmstorf gilt auch als die bekannteste. Neben diversen TV-Filmfassungen mit Rick Schroder und Rutger Hauer gab es auch im Jahr 2000 eine 12-teilige Serie mit Nick Mancuso in der Hauptrolle, die in Deutschland nur auf DVD erschienen ist.
Die Geschichte wurde auch in Variationen erzählt – 1980 in Klondike Fever mit Barry Morse, Angie Dickinson und Rod Steiger um Jack Londons Reise von San Francisco zu den Klondike-Goldfeldern prominent besetzt, sowie 2009 erstmals in 3D um ein Mädchen in Montana, das einen verletzten Wolf rettet und damit die Aufmerksamkeit eines bösen Fremden auf sich zieht. Als Großvater des Mädchens war übrigens Christopher Lloyd zu sehen.
Jetzt gibt es eine Neuverfilmung des Originalstoffes mit Harrison Ford in der Rolle des Einsiedlers Jack Thornton, der mit dem Tod seines Sohnes nicht klar kam und deswegen seiner Familie den Rücken kehrte. Seine Reise führte ihn rein zufällig zum Yukon, wo Goldschürfer ihr Glück versuchten. Aber wie er im Film auch betont, sucht er nicht nach Gold, ertränkt lieber seine Trauer im Alkohol. Erst als Buck seinen Weg kreuzt, beginnen seine Wunden zu heilen.
Die Hauptrolle in diesem Abenteuer spielt jedoch ein Hund – ein großer Hund. Weil Buck die Hauptfigur des Films ist, versuchten die Filmemacher zunächst, den Hund, von Jack London in der Romanvorlage als eine Mischung aus Bernhardiner und Farmcollie beschrieben, von Grund auf neu zu entwerfen. Ein Farmcollie ist eine sehr altmodische Rasse.
Buck wurde also nach diesen Vorgaben entwickelt. Man gab ihm die typische Färbung eines Berner Sennenhunds, weil man den Eindruck hatte, dass diese Farben sich gut auf der Leinwand machen würden. Man brachte sogar einen echten Berner Sennenhund an den Drehort, um mit ihm die Ausleuchtung der Szenen zu erleichtern. Aber je länger man an einem idealen Buck arbeitete, desto mehr wurde den Filmemachern bewusst, wie schwer es war, den Gesichtsausdruck eines Berner Sennenhunds zu deuten. Zudem erwies sich sein dunkles Fell bei den Nachtszenen als problematisch.
Nachdem bereits einige Wochen gedreht wurde, startete Jessica Sanders, die Gattin des Regisseurs, eher zufällig PetFinder und stolperte dabei über einen Hund, der als Mischung aus Bernhardiner und Schäferhund gelistet war. Das war nicht nur exakt die Mischung, wie Jack London sie in seiner Vorlage beschrieben hatte, der Name des gelisteten Hundes war obendrein Buckley. Der Zufall war zu groß, als dass man ihn einfach von der Hand weisen konnte.
Jessica ließ alles stehen und liegen und fuhr nach Emporia, Kansas, um Buckley kennenzulernen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Sie zahlte die Adoptionsgebühr von 25 Dollar und schaffte die Fahrt zurück zum Drehort in nur zwei Tagen. Buckley verzückte auf Anhieb die gesamte Crew. Erwin Stoff schlug vor, man solle einfach Buckley in den Computer einscannen und ihn zur Hauptfigur des Films machen. Und genau das wurde auch gemacht.
Und wie es heutzutage IN ist, sind die Tiere im Film auch komplett animiert! Zunächst wollte man so viel wie möglich im Computer entstehen lassen, doch dann entschied man sich, digital animierte Tiere in Naturaufnahmen zu integrieren. Und wer ist dieser Tage mehr dafür prädestiniert als Terry Notary, der seine Karriere als Artist des Cirque de Soleil begann und mittlerweile einer der führenden Spezialisten auf dem Gebiet der Bewegungschoreographie in Filmen ist? Er verbrachte Stunden um Stunden mit dem Studium von Hunden und erforschte deren Manierismen. Anschließend eignete er sich in einem aufwändigen Prozess deren Bewegungen und Bewegungsabläufe an.
Zunächst hatten Produzent Ryan Stafford und der Chef für visuelle Effekte, Erik Nash, überlegt, Terry Notary einfach nur die Gesichtsbewegungen für die nötige Emotionalität machen zu lassen – der Ausdruck der Augen in den Großaufnahmen, wenn Buck glücklich oder traurig ist. Niemals wäre ihnen in den Sinn gekommen, dass ein Darsteller in der Lage sein könnte, auch die Kämpfe und Sprünge zu übernehmen, die von Buck in der überlebensgroßen Action verlangt waren.
»Terry war von unschätzbarem Wert«, schwärmt Regisseur Chris Sanders, der nach Lilo & Stitch, Drachenzähmen leicht gemacht und Die Croods hier seinen ersten Realfilm (oder zumindest Halbrealfilm) abliefert. »Er war nicht nur als Schauspieler absolut spitze. Was er ablieferte war überdies körperlich unglaublich anspruchsvoll. Hundetiming ist eine ganz spezielle Sache. Es ist von Unberechenbarkeit geprägt. Sie haben oft sehr schräge Momente, wo sie den Kopf auf die Seite legen oder ein Auge zudrücken oder kurz wegsehen.
Terry hat sich all diese Dinge angeeignet und gleichzeitig seine angeborenen menschlichen Bewegungen abgelegt. Es gibt da aber gewisse Abläufe, zum Beispiel wenn er sich hinlegt oder aufsteht, da funktionieren bei einem Menschen die Bewegungen von Kopf und Schulter ganz anders als bei einem Hund. Also musste man das in Betracht ziehen, besonders in Szenen, wo er sich in engere Parameter begeben musste, als es ihm physikalisch eigentlich möglich ist.«
Für Harrison Ford, der daheim selbst drei kleine Hunde um sich hat, war die Arbeit mit einem Menschen als Hundeersatz eine Herausforderung: »Die meiste Zeit während des Drehs habe ich mit Terry verbracht. Wir haben uns gegenseitig dabei geholfen, das zu liefern, was der andere brauchte. So wie ich für ihn gespielt habe, hat er für mich gespielt. Wir waren immer füreinander da.«
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Ruf der Wildnis anno 2020 hat seitens der zeitlosen Abenteuergeschichte immernoch ein gewisses Potenzial, das Publikum zu fesseln. Besonders der Abschnitt als Schlittenhund mit einem winterlich erfrischenden Omar Sy, der als Postbote zusammen mit Cara Gee als bodenständige Begleiterin versucht, 3.900 km Weg in 80 Tagen zu schaffen, ist den Film wert.
Allerdings muss man besonders bei der Darstellung der Tiere Abstriche machen. Auch wenn man es vorher nicht weiß: Schon nach kurzer Zeit erkennt man, trotz bemerkenswert großer Detailtreue, dass die Hauptfigur animiert ist. Bei den anderen Tieren, die nicht ganz so im Fokus stehen, fällt das nicht ganz so doll auf. Aber schon gleich zu Beginn des Films, wenn Buck durchs Haus der Millers wütet, wirkt Buck mit seiner Mimik und seinen Aktionen wie eine Mischung aus Berner Sennenhund und Scooby-Doo!
Über die Mimik, die zum einen schon recht echt wirkt, zum anderen dann aber wieder so unecht wie in einem Animationsfilm üblich, kann man ja zugunsten der Tatsache, dass es ein Film für Kinder ist, hinweg sehen. Doch die springenden und rutschenden Bewegungen wirken dann doch etwas zu unecht.
Mit den Marvel-Akteuren Karen Gillan und Dan Stevens sowie Bradley Whitford, Cara Gee und Michael Horse prominent in den Nebenrollen besetzt, wirkt der Film der von Disney übernommenen 20th Century Fox, die hier bereits mit neuem Logo angezeigt werden, wie eine Art Hybrid, der zwar gut gewollt und mit Herz gemacht wurde, sich aber visuell und dramaturgisch nicht so ganz überzeugend in das Disney-Weichspülprogramm einfügen kann.

16.04.2021 | mz
Kategorien: Feature | Filme