Samstag, 20. April 2024
Sherlock, Enola und Mycroft Holmes
📷 Robert Viglaski - © Netflix | Legendary Pictures
England, 1884 – eine Welt kurz vor dem Umbruch. Am Morgen ihres 16. Geburtstags erwacht Enola Holmes und stellt fest, dass ihre Mutter verschwunden ist und eine merkwürdige Auswahl an Geschenken hinterlassen hat, aber keinen offensichtlichen Hinweis darauf, wohin sie gegangen ist oder warum.
Nach einer freizügigen Kindheit landet Enola plötzlich in der Obhut ihrer Brüder Sherlock und Mycroft, die sie in ein Mädcheninternat für „anständige“ junge Damen schicken wollen. Enola hat allerdings andere Pläne. Sie macht sich auf eigene Faust davon, um in London nach ihrer Mutter zu suchen.
Doch als sie auf ihrer Reise in den rätselhaften Fall eines jungen entlaufenen Lords verwickelt wird, wird Enola selbst zu einer außergewöhnlichen Spürnase, die ihren berühmten Brüdern einen Schritt voraus ist und eine Verschwörung aufdeckt, die den Lauf der Geschichte zurückzudrehen droht.
»She has no gloves.«
Mycroft Holmes
Enola Holmes basiert auf der beliebten Buchreihe von Nancy Springer und ist ein dynamisches, neues Krimiabenteuer, das den berühmtesten Detektiv der Welt mit seiner bisher härtesten Konkurrenz bekannt macht – seiner kleinen Schwester. Möge das Spiel beginnen…
Nancy Springer wuchs mit den Büchern von Arthur Conan Doyle auf, war jedoch von der für sie frauenfeindlichen Betrachtungsweise in dessen Geschichten bestürzt, weshalb sie einen weiblichen Kontrast zu dem berühmten Ermittler in Form einer spätgeborenen, jugendlichen Schwester namens Enola schuf, die sie in sechs Geschichten ermitteln ließ, die in zahlreichen Sprachen übersetzt und in Frankreich und den USA auch als Bilderroman veröffentlicht wurden.
Millie Bobby Brown verbrachte ihre Kindheit in England und wollte nun, nach ihrem erfolgreichen Einstand als 11 in der Netflix-Serie Stranger Things, mal eine britische Rolle spielen. Ihre ältere Schwester Paige entdeckte da die „Enola Holmes“-Krimireihe: »Von dem Moment an, an dem ich sie zu lesen begann, sah ich Millie als Enola. Sie ist eine Art Neunmalklug, aber auch ziemlich verletzbar. Sie ist schlau und forsch. Ich wusste: Die Rolle war perfekt für Millie.«
Die beiden Schwestern brachten die Bücher zu ihren Eltern, die einige Jahre zuvor die Produktionsfirma PCMA Productions gründeten und schließlich bei Legendary Pictures, dem Studio hinter der aktuellen Godzilla-Reihe, für den Stoff ein Zuhause gefunden hatten. Die Produzentin und stellvertretende Vorsitzende von Legendary, Mary Parent, erinnert sich:
»Paige und Millie brachten uns die Bücher vorbei, und wir hatten sofort verstanden, warum sie die Geschichte so liebten. Wir schnappten uns die Gelegenheit, Sherlock Holmes von der weiblichen Seite aus zu betrachten, und es fühlte sich zeitgemäß an. Es mag zwar in der Victorianischen Zeit spielen, aber es dreht sich um ein Mädchen, das versucht, ihren Weg zu finden, ein Mädchen, das versucht, ihren Platz in der Welt zu finden. Es ist eine Geschichte über Veränderung und wie wir Veränderung bewirken.«
Der preisgekrönte Drehbuchautor Jack Thorne, der zuletzt u.a. die Filme Wunder und Marie Curie – Elemente des Lebens (mit)adaptiert hatte, war gerade dabei, sich die innovative Serie Fleabag anzusehen, und war von dem Kunstgriff fasziniert, die vierte Wand zu durchbrechen, um in die Gedanken von jemanden zu gelangen, besonders bei einer Figur, die die meiste Zeit allein ist.
Es war dann purer Zufall, dass Harry Bradbeer, der für seine Regie bei Fleabag mit dem Emmy® ausgezeichnet wurde, bei Legendary ganz oben auf der Liste der Regisseure dafür stand. Nachdem er das Drehbuch gelesen hatte, packte er den Bullen bei den Hörnern und kam für seinen ersten Spielfilm an Bord.
👩‍👧 ✏️ 👩🏻 ✉️ 🕵🏻‍♂️ 🚞 👱🏼‍♂️ 💣 🏴󠁧󠁢󠁥󠁮󠁧󠁿 🎩
Und so kommt es, dass Enola nun mit dem Publikum spricht, oft sogar ausgeklammert direkt in die Kamera, was dem Film zwar, ähnlich wie die visuellen Gedankensprünge des TV-Sherlocks, frischen Wind verleiht, manchmal jedoch irgendwie nicht so ganz in den Rahmen zu passen scheint. Die Blicke in die Kamera und ein Off-Kommentar ihrerseits hätten gereicht. Das hatte acht Jahre lang bei Magnum wunderbar funktioniert. Und sympathisch kommt sie ja rüber, die Millie Bobby! (was gewiss nicht weniger damit zu tun hat, dass sie den Film mit ihrer Schwester Paige zusammen mitproduziert hat!)
Weitere störende Minuspunkte sind zum einen die Besetzung von Ex-Superman und Witcher Henry Cavill, der so gar nicht dem gewohnten Bild des cleveren Ermittlers mit der karierten Mütze und Pfeife entspricht, sowie zum anderen die erzwungene Vielfalt der Besetzung – Inspektor Lestrade ist plötzlich ein Pakistaner? Genauso unmöglich ist die „Verbunterung“ im ebenfalls startenden David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück, worin die Titelrolle ebenfalls von einem Inder gespielt wird. Ob sich Charles Dickens das so vorgestellt hatte…? Wann kommt der erste schwarze Sherlock Holmes? Oder ein asiatischer James Bond? Vielfalt ist zwar schön, sollte jedoch weitgehendst auf originelle Geschichten angewandt werden!
Helena Bonham Carter passt perfekt zur freidenkenden Mama Holmes, während Burn Gorman ein weiteres Mal den Bösewicht mimt, was er gut kann, doch derzeit ein wenig zu oft damit in Erscheinung tritt. Während Henry Cavills weichgespülter Sherlock etwas blass bleibt, macht sich Sam Claflin als Mycroft zu einer perfekten Verkörperung der damaligen misogynen Weltansicht, die zunächst von Fiona Shaws Miss Harrison unterstützt wird, diese dann jedoch später hinter ihrer Fassade ein wenig mehr Weitblick offenbart.
Ansonsten ist der Film jedenfalls recht unterhaltsam, manchmal trotz Vorhersehbarkeit auch spannend und vor allem vom Produktionsdesign und den Kostümen her sehr stimmig. Millie Bobby Brown kann das Publikum trotz Kamerablick (oder vielleicht auch gerade deswegen) an sich reißen, und man freut sich einfach mit dem Energiebündel. Und am Ende bekommt man Lust, mehr von ihr als Enola Holmes zu sehen.

08.04.2024 | mz
Kategorien: Feature | Filme